Die vierte Kränkung der Menschheit

Tropenmediziner Prof. August Stich über Klimawandel und Gesundheit

0

Prof. Stich ©Inline Internet & Werbeagentur

„Wer Bäume pflanzt, obwohl er weiß, dass er nie in ihrem Schatten sitzen wird, hat zumindest angefangen, den Sinn des Lebens zu begreifen.“ Die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts lebt im Jetzt und Hier und nivelliert den Gedanken des indischen Philosoph Rabindranath Tagore mit unumkehrbaren Folgen für Klima und Gesundheit. „Wir stehen vor der vierten Kränkung der Menschheit“, sagt der Chefarzt der Tropenmedizin im Klinikum Würzburg Mitte, Professor August Stich. „Und die wird sein, dass wir nicht in der Lage sind, die Erde, die Errungenschaften moderner Medizin und unser aller Lebensgrundlage zu bewahren und an die nächsten Generationen weiterzugeben.“1 Wir steuerten sehenden Auges auf eine Katastrophe zu, so Stich. Corona werde nicht die letzte durch eine Zoonose ausgelöste Pandemie sein. „Das ist den Tatsachen geschuldet, dass Menschen vermehrt in ,unberührte‘ Lebensräume vordringen wie etwa in den Regenwald, wir in unserer globalisierten Welt einen hochschnellen Austausch von Menschen, Tieren und Waren haben und die Weltbevölkerung ständig zunimmt“, so der Tropenmediziner. So gehe besonders von aerogenen Infektionen (Erregern, die über die Luft übertragen werden) Gefahr aus: „Eine Ebola-Infektion ist mir da viel lieber, weil die Übertragungswege kontrollierbar sind.“ Im Gegensatz zu Corona schätzt der Tropenmediziner, dass Ebola ein beherrschbares Problem bei einem Ausbruch in Deutschland darstellen würde. Auch tropische Fieberkrankheiten wie Dengue, Zika oder Chikungunya werden hierzulande in den nächsten Jahren vermehrt auftreten. „Die Überträger, etwa die asiatische Tigermücke, sind längst angekommen, und zwar durch den Klimawandel. Jetzt braucht es nur ein paar Zufälle und schon sehen wir vermehrt Fälle tropischer Fieberkrankheiten auch in Deutschland“, erklärt Professor Stich den Sachverhalt. Das gleiche gelte für wasserbezogene Krankheiten, etwa durch das Bakterium Vibrio vulnificus, das bei vorerkrankten, älteren Patient:innen beispielsweise mit Diabetes tödlich verlaufende Wundinfektionen auslösen kann. Fälle an der Ostsee kennen wir aus den Schlagzeilen der letzten Jahre. „Das Bakterium, das mit dem Cholera-Erreger verwandt ist, profitiert von der Erwärmung leicht salziger Meere, was sich in der Ostsee oder dem Schwarzen Meer bereits bemerkbar macht“, weiß Professor Stich.  Ein weit größeres Problem, das die nächsten Jahre auch noch auf uns zukommen werde, so Stich, seien weitere Migrationsbewegungen von Menschen vornehmlich aus dem globalen Süden, denen der Klimawandel schon jetzt die Lebensgrundlage raubt. „Und hier sind es nicht eingeschleppte Krankheiten wie Tuberkulose oder Lepra, die uns Sorge machen müssen (die Zahlen belegen keinen Anstieg dieser Krankheiten bei der heimischen Bevölkerung seit 2015), sondern ein deutsches Gesundheitswesen, das diese Erkrankungen zu spät erkennt“, betont der Tropenarzt. Eine mit Lepra infizierte Person sei nicht selten bis zu eineinhalb Jahre im deutschen Gesundheitssystem unterwegs, bis die Krankheit erkannt würde. Auch hier müsse ein Mitdenken von Erkrankungen, die von den Folgen des Klimawandels profitieren, stattfinden. Und es gehe auch nicht nur um Dengue- oder Zikafälle bei uns, „sondern darum, zu realisieren, dass der ganze Planet ‚Fieber‘ hat.“ Hier helfe keine Symptombehandlung, sondern nur eine Transformation der Gesellschaft in Hinblick auf Energie, Mobilität und Ernährung, so Stich. „Und diese neuen Wege, die wir beschreiten müssen, um unser aller Überleben zu sichern, haben nichts mit Wachstum zu tun, sondern mit Suffizienz. Wir müssen fragen, was genügt uns für ein gutes Leben?“ Dieser Transfer hin zu einem Bewusstseinswandel und damit zu einer Transformation der gesamten Gesellschaft müsse jetzt gelingen, damit die Erde auch noch für die nächsten Generationen eine Lebensgrundlage bereithält und uns die vierte Kränkung der Menschheit erspart bleibt. 

Quelle: 1 „Die erste Kränkung geht zurück auf Nikolaus Kopernikus, der das heliozentrische Weltbild begründete und die Erde nicht mehr im Mittelpunkt des Universums sah. Für die zweite Kränkung zeichnet Charles Darwin verantwortlich, dessen Evolutionstheorie den Menschen nicht mehr als einzigartig und gottgleich erkannte, sondern als eine Art, die sich aus dem Tierreich weiterentwickelt hat. Sigmund Freud schließlich erkannte, dass das Unbewusste in uns ein Speicher für inakzeptable Gedanken, Wünsche, Gefühle und Erinnerungen ist und wir dadurch nicht mehr ,Herr im eigenen Haus‘ sind. Das war die dritte Kränkung“, zählt Professor Stich auf. Eine vierte steht uns jetzt bevor!

www.kwm-missioklinik.de/fachabteilungen/tropenmedizin

Share.