Die Sprache der Haptik

Kindlichen Ängsten begegnen. Eine Möglichkeit: die Arbeit am Tonfeld®

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©Beate Prieser-Klein

Einschneidende Erlebnisse hinterlassen bei Kindern und Jugendlichen oft Spuren. Es können große Themen sein wie Corona, Krieg oder die Klimakrise, aber auch Ereignisse im familiären Umfeld wie Scheidung, Unfall oder Tod. Die so entstandenen Ängste oder gar Traumata haben Folgen. So berichtete das Bundesministerium für Bildung und Forschung1 Anfang 2021 im Zusammenhang mit der Pandemie von Kindern, die teilweise unruhiger und weniger gut zu beruhigen waren, von größerer emotionaler Labilität, verstärktem Rückzug, Beeinträchtigung des Schlafes und negativen Verhaltensänderungen – bis hin zu körperlichen Beschwerden, die durch die Sorgen und Ängste ausgelöst wurden. „Wir sehen aktuell eine Gruppe von Störungen und eine starke Zunahme von psychischen Belastungen aus dem Spektrum Depression, Ängste, Zwangs- und Verhaltensstörungen“, kommentiert der Leipziger Wissenschaftler Professor Dr. Julian Schmitz2. Bleiben diese unbehandelt, könnten sich Entwicklungsbeeinträchtigungen, emotionale und/oder Verhaltensauffälligkeiten manifestieren. Unterstützung könne hier die Tonfeld®-Therapie bieten, davon sind die in Würzburg ansässige Kunsttherapeutin, Kunstpädagogin und Begleiterin in der Arbeit am Tonfeld®, Beate Prieser-Klein sowie Kollege Alexander Lautenbacher, Töpfermeister und ebenfalls ausgebildet für die Arbeit am Tonfeld® mit Kindern und Erwachsenen, überzeugt. „Die Arbeit am Tonfeld® nach Professor Heinz Deuser ist eine wirksame Entwicklungsbegleitung, die den haptischen Sinn in den Vordergrund stellt“, erklärt Prieser-Klein das Verfahren, bei dem völlig frei aus einem Impuls heraus in einem begrenzten Areal (Kasten) mit Ton und Wasser gearbeitet werden darf. „Über die Ansprache der grundlegenden Sinne kann das Kind im vitalen, sozialen und emotionalen Bereich gezielt Entwicklung nachholen sowie inneren Ausgleich und Halt finden.“ Die Aufgabe der Begleiter:innen bestehe darin, diese Sprache der Haptik zu lesen, um so Hürden und Hemmungen zu erkennen. Jeder Schritt werde unterstützt. Und darin liege nach Ansicht von Lautenbacher der wesentliche Unterschied zu anderen therapeutischen Maßnahmen. „Kinder und Jugendliche, die sich sonst verweigern, können sich hier in der Einzelarbeit öffnen. Es ist eine Einladung, in die Prozessarbeit einzusteigen“, sagt er. Es gebe keine Vorgaben, keine Ergebnisorientierung und keine Bewertung des Erschaffenen. „Es kann nichts Falsches herauskommen. Sie können tun, was sie möchten.“ Die Begleiter:innen hätten jedoch die Möglichkeit, auf jeden Impuls einzugehen und zu verstärken. „Das erklärte Ziel ist, dass das Kind seine Welt darstellen kann und mit dieser in Berührung kommt. Es soll erkennen, dass das von ihm:ihr Geschaffene, eine Realität und Ästhetik hat“, betont Alexander Lautenbacher. „Und es soll selbstbewusst, also mit guter Selbstwahrnehmung für sich einstehen können“, ergänzt Beate Prieser-Klein. Im Gespräch mit den beiden, die das Tonfeld® bei Kindern ab etwa vier Jahren einsetzen, wird deutlich: Hier geht es um den Aufbau einer „Entwicklungsspur“ und den „Umgang mit Emotionen“. Von der Herstellung einer Beziehung zum Material, zu einem Gegenüber, aber auch zu sich selbst, läuft es hinaus auf inneren Halt und einen stabilen Stand. „Das heißt am Ende: zu sich stehen können.“ So werde neuer sozialer Umgang möglich. Und das scheint der springende Punkt: „Kinder werden in der Regel erst zu therapeutischen Maßnahmen geschickt, wenn sie auffällig werden“, berichtet Lautenbacher aus seinen langjährigen Erfahrungen, die er an Würzburger Schulen und verschiedenen Einrichtungen gesammelt hat. Er rät, vor allem jene Kinder und Jugendliche im Blick zu haben, die eben nicht laut, sondern ganz leise werden. „Oft kommen sie schon mit Entwicklungsverzögerungen“, schildert Prieser-Klein. „Wenn man hier nicht anknüpft, entstehen Lücken und sie kommen nicht mehr mit.“ Für Kinder und Jugendliche mit Ängsten scheint diese Form der Therapie besonders geeignet, um zu verhindern, dass sich „bestehende Symptomatiken verfestigen“, so Lautenbacher. Er warnt davor, „dass das Kind den Zugang zu sich selbst und zu anderen verliert.“ Die Arbeit am Tonfeld® sei nicht symptom-, sondern entwicklungsorientiert und daher über einen längeren Zeitraum angelegt. „Sie birgt für Kinder und Jugendliche das Potenzial, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, sich selbst zu berühren, sich in Verbindung mit Mitmenschen wahrzunehmen und sich vor allem im individuellen Tempo zu entfalten“, so der Experte. Oder anders gesagt: Mit den Händen wird im Laufe der Zeit die Seele berührt, um am Ende (hoffentlich) wieder ins Gleichgewicht zu kommen und seinen Platz in der Welt zu finden. Nicole Oppelt 

Quellen: 1 www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/kurzmeldungen/de/wie-belastet-die-corona-pandem-nder-und-jugendliche-psychisch.html, 2 www.der-niedergelassene-arzt.de/medizin/kategorie/medizin/deutliche-zunahme-von-psychischen-belastungen-bei-kindern-und-jugendlichen

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