Das Rund-um-die-Uhr-Prinzip


Prof. Michael Weigel und Hans-Martin Lode über die Versorgung der Kleinsten in einem Perinatalzentrum Level 1

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Das Wunder der Geburt. 2022 kamen in Deutschland rund 740.000 Kinder zur Welt1. Doch nicht immer läuft alles wie geplant. „Deutschlandweit werden jährlich rund 60.000 Kinder vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche geboren. Jedes elfte Neugeborene ist also ein ‚Frühchen‘“, berichtet der Bundesverband „Das frühgeborene Kind“2 e.V. Sie seien die größte Kinderpatient:innengruppe in der Bundesrepublik. Versorgt werden sie etwa im Leopoldina-Krankenhaus in Schweinfurt. Dieses ist neben dem Uniklinikum in Würzburg das einzige Haus mit einem Perinatalzentrum (PNZ) Level 1 in der Region Mainfranken (seit 2006) und bietet damit die nötigen Voraussetzungen, Frauen mit Früh- und Risikogeburten jedweder Ausprägung sowie deren neugeborene Kinder sicher zu versorgen. „PNZ ist eine Definition des Gemeinsamen Bundesausschusses“, erklärt Professor Michael Weigel, der das Schweinfurter PNZ zusammen mit seinem Chefarztkollegen Dr. Johannes Herrmann (Kinderklinik) leitet. Dieser habe bestimmte Kriterien festgelegt. Dazu gehöre, neben der hochwertigen technischen Ausstattung, unter anderem, dass Leiter:innen als auch deren Stellvertreter:innen eine spezielle Zusatzweiterbildung absolviert haben müssen. In Schweinfurt gebe es stets mindestens vier solcher Personen. „Personen mit dieser Qualifikation müssen rund um die Uhr verfügbar sein“, so der Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Das Augenmerk des Teams richte sich bereits auf die Wochen und Monate vor der Geburt. Aus gutem Grund: „Wir wollen die Kinder möglichst reif, möglichst spät und möglichst gut vorbereitet den Neonatolog:innen überantworten“, betont Weigel. Manchmal sind Hans-Martin Lode, Oberarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche, und seine Mannschaft noch früher involviert. „Das geschieht dann, wenn im Ultraschall bekannt wird, dass etwas nicht stimmt“, erklärt dieser. Dann werde gemeinsam mit den Geburtshelfer:innen und Eltern über die nächsten Schritte beraten und es werden Vorbereitungen getroffen. „Auch hier gilt es, bestimmte Kriterien zu erfüllen. Dazu gehören Lode zufolge mindestens zwei speziell aus- und weitergebildete Neonatolog:innen in der Abteilungsleitung. Aktuell gebe es in Schweinfurt vier dieser Kolleg:innen. Darüber hinaus gilt in der Neonatologie ebenfalls das Rund-um-die-Uhr-Prinzip – mit ausschließlicher Konzentration auf die Kleinsten, etwa an den zehn neonatologischen Beatmungsplätzen (deutlich mehr als gefordert). Von dieser Expertise und Ausstattung profitieren die umliegenden Häuser. „Auf Anfrage machen sich ein Neugeborenen-Notarzt und eine Intensiv-Kinderkrankenschwester auf den Weg“, erklärt der Abteilungsleiter der Neonatologie. Ein Szenario, das etwa 40 bis 60 Mal pro Jahr eintrete. „Diese Situation sollte eigentlich nicht stattfinden“, sagt Professor Weigel. „Schwangere mit erkennbaren Risiken gehören nicht in eine Geburtsklinik, die lediglich über Kreißsäle und nicht wie ein PNZ über eine Entbindungsstation, Operationssäle und Neugeborenen-Intensivstation im selben Haus verfügen.“ Doch leider würden werdende Eltern das mit der Geburt verbundene Risiko, sowohl für die Mutter als auch für das Kind, oft nicht wahrnehmen wollen. Er mahnt: „Der Transport eines instabilen Neugeborenen oder Frühgeborenen ist die gefährlichste Phase im Leben dieses Kindes.“ Im Leopoldina gebe es Lode zufolge etwa 150 Frühgeborene unter 36 plus 0 Schwangerschaftswochen pro Jahr, die auf der neonatologischen Intensivstation behandelt würden. Davon hätten etwa 20 ein extrem niedriges Geburtsgewicht von unter 1.500 Gramm. „Die Grenze der Lebensfähigkeit liegt aktuell bei 22 Wochen plus x Tage“, erklärt der Oberarzt. Zwar würden Geburtsgewicht und Reife eine wichtige Rolle spielen. Doch entscheidend sei: Unterhalb dieses Zeitpunkts ist die Lunge noch nicht so weit entwickelt, dass sie ausreichend Sauerstoff aufnehmen kann. Mit Betroffenen würden daher immer wieder intensive, ehrliche und vor allem individuelle Gespräche geführt. Auch ethische Fragen spielen hierbei eine Rolle. Kritische Situationen unterschiedlichster Couleur möchte niemand erleben, betonen beide Ärzte abschließend. Sie seien jedoch vorbereitet jetzt und auch in Zukunft.  

Quellen: 1www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Geburten/_inhalt.html,
2www.netzwerk-neonatologie.de/zahlen-fakten/

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