Das Arzneimittel – ein Konsumgut?

Apotheker Dr. Helmut Strohmeier nimmt Stellung zur geplanten Apothekenstrukturreform des Bundesgesundheitsministers

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©Schmelz Fotodesign

„Wenn dieser Entwurf zur Apothekenstrukturreform durchgeht“, sagt Apotheker Dr. Helmut Strohmeier, „wird Professor Karl Lauterbach zum ‚Totengräber‘ des Apothekenwesens! Und die Patientinnen- und Patienten-Sicherheit wird massiv gefährdet, insbesondere an Sonn- und Feiertagen oder im Katastrophenfall.“ Im Kern fokussiere die Reform „Apotheken ohne Apothekerin oder Apotheker“. Eine Apothekerin oder ein Apotheker könne in Zukunft zusätzlich zwei „Zweigapotheken“ betreiben. „Diese dürfen auch drei Stunden Fahrtzeit auseinanderliegen und erfordern keine ständige Anwesenheit einer Apothekerin oder eines Apothekers“, berichtet Dr. Strohmeier. „Es sind quasi reine Abgabestellen, womit das Arzneimittel zum Konsumgut degradiert, der Versorgungsauftrag negiert und durch reine Logistik und Handel ersetzt wird.“ Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekenverbände (ABDA) schreibt dazu: „Durch die Zulassung von Betriebsstätten, die ohne anwesende Apothekerin oder anwesenden Apotheker betrieben werden, wird der Begriff ‚Apotheke‘ des ihn ausmachenden Wesenskern beraubt und die Apothekenpflicht faktisch abgeschafft.“ Zwar bestehe auch eine Anwesenheitspflicht einer Apothekerin oder eines Apothekers von acht Stunden in der Woche in der jeweiligen „Apotheke light“, aber die restliche Zeit könne auch Personal ohne fünfjährige universitäre Ausbildung vor Ort sein. „Für das Gehalt einer Pharmazeutisch-technischen Assistentin würde ich diese Verantwortung nicht übernehmen“, so der approbierte Apotheker. Im Zuge der geplanten Reform hätten diese ‚Medikamenten-Abgabestellen‘ auch keine Vorhaltepflicht für ein Labor, einen Rezeptur-Herstellungsplatz oder ein Notdienstzimmer. Strohmeier weiter: „Wenn ich keinen Notdienst und keine Rezepturen mache und keine Betäubungsmittel abgeben darf, was die meisten starken Schmerzmittel sind, falle ich als Apotheke aus!“ Darüber hinaus sollen die chronisch unterfinanzierten und unterbesetzten Apotheken in der Zukunft neue Aufgaben mit übernehmen wie Impfen gegen Grippe, Covid, Tetanus, Diphtherie, Kinderlähmung oder FSME. „Wir können das“, betont der Pharmazeut, „aber wir haben nicht das Personal, nicht die Räume, nicht die Zeit. Wir müssten eine spezielle Haftpflichtversicherung abschließen und eine entsprechende Honorierung für diese neue Aufgabe ist im Entwurf nicht vorgesehen. Sorry, der Reformentwurf ist das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt ist“, echauffiert sich Dr. Strohmeier. Und Karl Lauterbach habe noch weitere Aufgaben für das neue „Portfolio“ der Apothekerinnen und Apotheker: Und zwar ein stärkeres Engagement in der Prävention etwa von tabakassoziierten- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. „Natürlich ist das eine sinnvolle Aufgabe, aber auch hier fehlen uns aktuell die Zeit und die Mitarbeitenden“, konstatiert Strohmeier. Zudem stehe nirgends, wie das Personal für diese neue pharmazeutische Dienstleistung bezahlt werden soll. Eine ordentliche Prävention sei zeitintensiv, weiß der Apotheker aus der Betreuung von Diabetes-Patientinnen und Patienten während der GLICEMIA-Studie 2.0. In der einjährigen Studienbetreuung konnten sowohl die Lebensqualität der Typ II-Diabetikerinnen und -Diabetiker als auch die relevanten Gesundheitswerte durch regelmäßige Bewegung und eine Ernährungsumstellung signifikant verbessert werden. Die Theater-Apotheke war damals die einzige Apotheke in Würzburg, die über ein Jahr lang bei der kostenfreien Studie mitgewirkt hat (wir berichteten). „Das ist toll, das ist sinnvoll, aber ohne Honorierung kann keiner das auf Dauer stemmen“, so Strohmeier. Mit rund 17.500 Apotheken in Deutschland (Stand Ende 2023) kommen derzeit rund 21 Apotheken auf 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner, EU-weit liegt der Durchschnitt bei 32 Betrieben. Dauerhafte Lieferengpässe, Fachkräftemangel, Eintritt der Babyboomer ins Rentenalter, überbordende Bürokratie und immer neue Aufgaben sorgen dafür, dass mehr und mehr Apotheken schließen müssen. „Durch die geplante Reform wird das Apothekensterben ‚munter‘ weitergehen“, ist sich der erfahrene Apotheker sicher. Die Reform berge die Gefahr eines „Kobra-Effekts“. Vom ­Kobra-Effekt spricht man, wenn man ein Problem lösen möchte, das aber nicht gelingt und am Ende alles noch viel schlimmer wird.

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