„Das in der Gesellschaft verankerte binäre Geschlechtsmodell, das ausschließlich männlich und weiblich kennt, benachteiligt Menschen, die sich nicht eindeutig geschlechtlich verorten können oder wollen, und stellt deren Existenz infrage“, schreibt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes¹. Im Rahmen des „Philosophicums“ der Universität Würzburg befasste sich Prof. Martin Fassnacht, Leiter der Endokrinologie und Diabetologie des Universitätsklinikums Würzburg, in einem Vortrag mit diesem Thema. Der erfahrene Mediziner stellte gleich zu Beginn die Begrifflichkeiten dar – denn schon hier fängt Unwissenheit an. Was ist Transsexualität? Was ist Transgender? Oder: Was ist Intersexualität? Hier gilt es, zu differenzieren. Doch der „Zündstoff“ folgt dem Fuße. Etwa danach gefragt, ob eine Trans-Person ein:e Patient:in oder Transsexualität eine Erkrankung darstelle, gingen die Meinungen auseinander. Für Fassnacht ist klar: „Trans* muss klinisch als behandlungsbedürftig anerkannt sein und bleiben, da rechtlich sonst kein Anspruch auf ärztliche Hilfe besteht.“ Er gehe davon aus, dass es 30.000 bis 80.000 Transgender-Personen in Deutschland gäbe. „Diese Personengruppe fällt statistisch durch vermehrte Angsterkrankungen und eine erhöhte Suizidrate auf.“ Diese liege etwa dreimal höher als bei Cis-Menschen². „Aber: Eine Geschlechts-anpassende Therapie reduziert mentale Probleme signifikant.“ Nur ein kleiner Teil von etwa einem bis zwei Prozent bereue später die getroffene Entscheidung, das Geschlecht zu wandeln. Zunehmend damit konfrontierte, merke „die Medizin“, dass sie nicht gut auf Transgender-Menschen vorbereitet sei. Dabei benötigten Transgender-Personen besonders Unterstützung – mental-psychologisch, bei der Hormontherapie sowie vor und nach der OP.
In Würzburg gibt es einen Stufenplan zur therapeutischen Vorgehensweise bei Transgender-Patient:innen. Stufe eins beinhaltet eine ausführliche Diagnostik sowie die Einleitung einer Psychotherapie, die in der Regel mindestens ein Jahr dauert. Stufe zwei stellt den Alltagstest für mindestens ein Jahr dar. Stufe drei sieht die gegengeschlechtliche Hormontherapie vor. Aber nur dann, wenn mindestens ein befürwortendes „Psych-Gutachten“ vorliegt. Parallel läuft meist die Vornamensänderung nach §1 TSG. In Stufe vier wird dann die geschlechtsangleichende Operation durchgeführt. Das geschieht frühestens nach sechs Monaten Hormontherapie und zwei unabhängigen Gutachten. Außerdem steht die Personenstandsänderung nach § 8 TSG an, die auch ohne Operation möglich ist. In die letzte Etappe fällt die lebenslange Hormonbehandlung sowie die Nach- und Weiterbetreuung. Bei all diesen Wegschritten benötigt der Mensch ärztliche Begleitung – vor allem aber in der schwierigen, wenn auch oft befreienden Phase des Wandelns. Prof. Fassnacht bezieht hier diverse medizinische Disziplinen mit ein und stellt in diesem Zusammenhang klar: „Es ist nicht Aufgabe von Psycholog:innen oder Psychiater:innen die gesicherte Diagnose rückgängig zu machen.“ Laut WHO³ werde Transsexualität ab 2022 nicht mehr als psychische Erkrankung geführt. Auch wird dann der Begriff Transsexualität durch Geschlechtsinkongruenz abgelöst. Somit herrscht in dieser formalen Frage Klarheit. Doch im privaten wie im klinischen Alltag sind noch viele Fragen offen.
Quellen:
¹www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ueber-diskriminierung/diskriminierungsmerkmale/geschlecht-und-geschlechtsidentitaet/geschlecht-und-geschlechtsidentitaet-node,
²Als Cisgender werden Menschen bezeichnet, deren Geschlechtsidentität demjenigen Geschlecht entspricht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Dies trifft auf die große Mehrheit der Personen zu.,
³www.trans-european.de/weiteres/aktuelles/die-who-und-die-transsexualitaet.html,