Wenn der Krieg wieder da ist …

Geriater Dr. Michael Schwab über Posttraumatische Belastungsstörung bei Senior:innen

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„Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen“, zitiert Geriater Dr. Michael Schwab den deutschen Lyriker Rainer Maria Rilke und beschreibt damit das Zeitverständnis, das der Altersmedizin zugrunde liegt. Nämlich ein vertikales, kein lineares, horizontales (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft). Der Mensch sei eine „Gemengelage“. „Alles, was er erlebt hat, trägt er in sich, wie ein Baum die Ringe“, skizziert der Chefarzt des Würzburger Geriatrie-Zentrums das Menschenbild der Altersmedizin. Trigger wie die jüngsten Bilder vom Krieg in der Ukraine könnten verschüttete Erinnerungen an eigene Kriegserlebnisse ans Tageslicht bringen. „Das führt zu einem sogenannten Flashback“, weiß Dr. Schwab. Wenn dieser sich verstetigt und nicht mehr verschwindet, weil das Erlebte so belastend war und vielleicht nie kommuniziert wurde, könne das eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) bei Senior:innen auslösen.

Im Gegensatz zur klassischen PTBS gabe es keine Brückensymptome, will heißen die seelischen und oft auch körperlichen Symptome der PTBS können plötzlich nach 80 Jahren getriggert werden, ohne dass es „Vorboten“ in Form von Symptomen in der Vergangenheit gegeben habe. PTBS bei Senior:innen wurde in der medizinischen Literatur vor 25 Jahren erstmals erwähnt, seit rund 15 Jahren ist sie auf dem Tapet der Forschung. „Nur wenn man etwas kennt, kann man es erkennen“, sagt Dr. Schwab. Jede:r siebte Senior:in ist von einer PTBS betroffen, Frauen häufiger als Männer, so die aktuellen Zahlen aus der Altersmedizin, die überraschen. Und dann auch wieder nicht. Vorsichtigen Schätzungen zufolge (die Dunkelziffer ist wahrscheinlich weitaus höher) wurden im zweiten Weltkrieg rund 860.000 Frauen Opfer sexualisierter Gewalt. Oftmals sei aus Scham das Erlebte nie kommuniziert und so das Unerhörte nie zu Gehör gebracht worden. Bilder von zerbombten Städten und fliehenden Frauen und Kindern wie jetzt in der Ukraine, die mit den Ereignissen von damals korrelierten, beförderten das Trauma zutage, so Schwab.

Von einer PTBS spreche man, wenn die Erkrankung weder eindeutig auf eine Organerkrankung zurückgehe, noch einer anderen seelischen Störung zuzuordnen sei, sagt der Altersmediziner. Erst einmal erkannt, sei eine PTBS im Alter gut behandelbar, etwa durch Gesprächs-, Musik, oder Bewegungstherapie. „Der Mensch ist kein Wesen, das Dinge abschließend erlebt und dann wieder bei Null beginnt. Auf die Erlebnisse der Vergangenheit bauen sich die der Zukunft auf (vertikale Achse). Alles, was man sieht, empfindet, äußert, bezieht man auf Dinge, die man erlebt hat“, so Dr. Schwab. Das ist die Krux, aber auch eine Chance. Denn alles, was ein Mensch Belastendes erlebt hat, hat ihn auch stärker werden lassen. Und diese Resilienz könne bei der Heilung helfen. Sich auf seine Stärken zu besinnen und zu alter Stärke zurückzufinden, das sei das Ziel der Therapie bei PTBS im Alter.

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