Wie würden Sie entscheiden?

Dr. Kilian Distler, Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Intensivmedizin und Notfallmedizin, über Ethik im Krankenhaus

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©Chris Weiß

„Wir leben in ethisch stürmischen Zeiten“, sagt Dr. Kilian Distler, Ärztlicher Direktor am Klinikum Main-Spessart in Lohr am Main. Die eine Partei wolle neue Regeln, um die Zahl der Organspenden zu erhöhen. Die andere feile an der Neuregelung der Sterbehilfe. Große Themen! Im Rahmen seines Vortrags an der Städtischen Volkshochschule Marktheidenfeld nahm Distler die Anwesenden Ende letzten Jahres mit in den Klinikalltag und damit direkt hinein in ethische Dilemmas, die (nicht nur) er und seine Kolleginnen und Kollegen abseits der großen Schlagzeilen zu lösen hätten. Tag für Tag gehe es um den Umgang mit Patientenverfügungen respektive um Fragen der Autonomie von Patientinnen und Patienten, um Entscheidungen zwischen Apparatemedizin oder dem Gehenlassen. Die dahinterstehenden Problemfelder sind nicht nur medizinischer, sondern auch philosophischer Natur. Und sie sind komplex! Nach welchen ethischen Grundprinzipien sollten Ärztinnen und Ärzte verfahren? Dr. Distler verweist auf die Medizinethiker Tom I. Beauchamp und James F. Childress. Sie entwickelten Ende der 1970er-Jahre an der Georgetown University vier Grundsatzprinzipien des ärztlichen Handelns. Demnach sollen Ärztinnen und Ärzte den Patientinnen und Patienten nutzen. Sie sollen ihnen keinen Schaden zufügen, ihre Selbstbestimmung respektieren und zu guter Letzt das Prinzip der Gerechtigkeit anwenden. Hilft das in Krisensituationen, bei der Entscheidungsfindung oder gar der Durchsetzung humanitärer Prinzipien in der medizinischen Behandlung? Ja. Das zeigen, wie Dr. Distler verdeutlicht, nicht nur Überlegungen, wie sie etwa in Zeiten der Corona-Pandemie angestellt wurden, sondern auch Beispiele aus seinem Klinikalltag. Frei nach dem Motto „Wie würden Sie entscheiden?“ stellte der erfahrene Mediziner drei Szenarien vor. Darunter den Fall einer 91-jährigen Patientin, die nach einem „Kollaps“ in der Klinik landete und aufgrund ihres Zustandes nicht selbst zu weiteren Behandlungsoptionen befragt werden konnte. Dialyse, ja oder nein? Die Antwort der Angehörigen „Machen Sie, was Sie für richtig halten – wenn es der Mutter nur hilft!“ half nicht weiter. Oder Fall zwei: Sollte ein 88-jähriger Patient einen Herzschrittmacher erhalten? Vier Handlungsoptionen standen zur Wahl: von nichts tun bis hin zur Implantation eines Highend-Systems. Abgewogen werden musste, nach der Einwilligung des Patienten in eine Schrittmachertherapie, nicht nur, welches System zum Einsatz kommen sollte, sondern auch, welchen Nutzen dieses habe, ob es dem Prinzip des Nicht-­Schadens ­genüge und natürlich auch, ob der Aspekt der sozialen Gerechtigkeit beachtet werde. Der Fall einer 65-jährigen Diabetikerin verdeutlichte das Problem der Autonomie. Sollte „gegen den Patientenwillen“, aber mit ärztlicher Indikation entschieden und wieder Insulin gegeben werden? Dr. Distler entschied sich in diesem speziellen Fall für die Anwendung des Fürsorge-Prinzips und rettete so ihr Leben. Schwarz oder Weiß, das wurde im Laufe des Abends klar, gibt es hier nicht. Dr. Distler schloss deshalb mit einem Zitat des verstorbenen Karl Kardinal Lehmann: „Schließlich wird man, besonders mit Blick auf den Arzt, nie das Vertrauen verlieren dürfen, dass er in seinen Möglichkeiten so entscheidet, wie es für das Wohl des Menschen am besten ist. Alle notwendigen papierenen Normen können dieses Vertrauen und seine Einlösung nie ersetzen.“

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