
©Pat Christ
Sie greinen. Brabbeln. Gurgeln. Und beginnen im Alter von fünf oder sechs Monaten mit faszinierenden „Registerübungen”. Was Babys lautlich alles können, sei über alle Maßen beeindruckend. Seit langem befasst sich Professor Kathleen Wermke, Leiterin des Zentrums für vorsprachliche Entwicklung und Entwicklungsstörungen am Uniklinikum Würzburg, mit diesem Phänomen. Im März erschien ein Buch von ihr dazu. „Damit will ich vor allem Demut erzeugen“, sagt die Verhaltensbiologin. Und sie will Verständnis wecken. Um sich ein Urteil über etwas bilden zu können, braucht es Wissen. Ohne Wissen sind Äußerungen weder Urteile noch Meinungen, sondern allenfalls Ansichten. Ohne Wissen wird die herrschende Ansicht über Babys den kleinen Wesen nicht gerecht. Für Professor Wermke, die sich seit Jahren wissenschaftlich mit Säuglingen beschäftigt, sind Babys Wunder der Schöpfung. „Stimmakrobaten in Windeln“ nennt die 63-Jährige sie. Was Babys durch Melodien, Intervalle und rhythmische Akzentuierungen mit ihrer Stimme an Gefühlen und Bedürfnissen ausdrücken können, müsse einfach demütig machen, sagt sie. Oft reagieren Menschen genervt, wenn Babys quengelig sind oder wie am Spieß schreien. Hochfrequent. Schrill. Entdecke man jedoch ihre lautlichen Meisterleistungen, so Kathleen Wermke, beginnt man, Babys schätzen zu lernen. „Statt dem Baby immer gleich den Nuckel zu geben, sollte man ihm einmal genau zuhören und seine Melodiebögen zählen“, appelliert sie. Dass sie den Nachweis für ein universales Entwicklungsschema hinter den Babygesängen erbringen konnte, zählt zu Professor Wermkes herausragenden wissenschaftlichen Leistungen. Feinheiten in den Babygesängen würden sich durch die Umgebungssprache ergeben, erläutert sie. Besonders faszinierend sei die Entdeckung, dass Babys in ihren Gesängen zum Teil mehr Laute und Elemente haben, als sie später für ihre Sprache benötigen. Ein asiatisches Baby brabbele mit sechs oder sieben Monaten noch unter Verwendung des „R“. In der Sprache würde das „R“ später jedoch nicht mehr vorkommen. Lautlich verliere das Kind also an Vielfalt und Flexibilität. Dank Kathleen Wermke gibt es heute in Würzburg die weltweit einzige Datenbank von Babylauten. Nirgendwo sonst existiert außerdem das Know-how, die Lautäußerungen von Babys zu modellieren und auszuwerten. In einem aktuellen wissenschaftlichen Vorhaben unterstützt sie mit ihrem Team eine US-amerikanische Studie, in der die Gehirnentwicklung von Kindern mit Spaltbildungen untersucht wird. Glücklich ist die Professorin, dass sie einen neuen Geldgeber für ihre Arbeit fand: Die Carl Friedrich von Siemens-Stiftung unterstützt sie bei der Erstellung eines Fachbuchs, für dessen Erstellung sie für ein Jahr von ihrer klinischen Arbeit freigestellt ist. Los geht es im Herbst.
Kathleen Wermke. Babygesänge. Wie aus Weinen Sprache wird, Molden Verlag, Wien 2024, ISBN 978-3-222-15122-4, Preis: 26 Euro, www.styria.com