Keine Willkommenskultur gefährdet ­Versorgungssicherheit

Der neue Oberpflegamtsdirektor der Stiftung Juliusspital Karsten Eck über die Zukunft der Pflege

0

In der Oktoberausgabe der Lebenslinie 2024 haben wir einen jungen Albaner aus dem Juliusspital interviewt. Erald Domi ist voll integriert, hat seine albanische Pflegeausbildung anerkennen lassen und in der Pflege eine Bilderbuchkarriere hingelegt. Er ist beliebt bei seinen Kolleginnen und Kollegen und hilft mit, unser Gesundheitssystem am Laufen zu halten. Mittlerweile hat jede vierte Pflegekraft Migrationshintergrund. Ähnlich ist der Prozentsatz bei Ärztinnen und Ärzten. Von Karsten Eck, dem neuen Oberpflegamtsleiter der Stiftung Juliusspital, wollten wir wissen, wie seine Meinung zum anhaltenden Rechtsruck ist, der durch unsere Gesellschaft geht – in Bezug auf die Anwerbung neuer Pflegekräfte, aber auch für die Situation derer, die schon hier leben und arbeiten. 

Karsten Eck (KE): „Wenn ich jetzt mal mit denen anfange, die hier leben und arbeiten, dann ist das Thema Angst ein großes. Wir unterstützen gerade eine Kampagne des Aktionsbündnisses ̦Dienst-Tag für Menschen‘, bei der wir unseren ausländischen Pflegekräften ‚Danke‘ sagen wollen. Um die Beschäftigten zu schützen, haben wir Stockbilder verwendet, weil Mitarbeitende mit Migrationshintergrund teilweise Angst um ihr Leben haben. Wir machen unser Land momentan unattraktiv für den Zuzug ausländischer Fachkräfte. Wir reden nicht von Personen, die in unser Sozialsystem einwandern, sondern von Menschen, die sich hier mit Job und ­Familie ­integrieren wollen. Ich befürchte, viele Interessierte werden sich ein Land aussuchen, in dem sie gastfreundlicher empfangen werden.“

Lebenslinie (LL): Die Lebenslinie berichtet seit Jahren über Missstände, die den Pflegeberuf belasten. Einiges hat sich schon zum Positiven verändert, etwa die Gehälter, auch die der Auszubildenden. Aber es gibt immer noch Handlungsbedarf in vielen Bereichen. Wo würden Sie diesen verorten?

KE: „Was sich ändern muss, ist relativ simpel und wird oft propagiert, aber leider verändert sich hier nichts: Das Thema ‚Bürokratieabbau‘ mit Vereinfachungen von Prozessen und Dokumentationen. Eine Pflegekraft braucht derzeit rund 40 Prozent ihrer Zeit am Tag, um zu dokumentieren. Zeit, die ihr am Bett der Pflegebedürftigen fehlt.“ 

LL: 2060 wird es wahrscheinlich 4,5 Millionen pflegebedürftige Menschen geben. Zudem gehen in den nächsten Jahren die Babyboomer in Rente, darunter zahlreiche Pflegekräfte. Die Lücke beim Personal, die dann klafft, wird nach Schätzungen des Statistischen Bundesamts von rund 300.000 fehlenden Pflegekräften womöglich auf rund 500.000 anwachsen. Was muss geschehen, um den demografischen Wandel in Kombination mit dem Fachkräftemangel auffangen zu können, damit, wie ihr Vorgänger als Oberpflegamtsdirektor, Walter Herberth, einmal so treffend formuliert hat, das Ganze nicht in einer „humanitären Katastrophe“ endet? υ

υ KE: „Es ist ein Spagat, den es zu leisten gilt, durch gezielte Anwerbung ausländischer Fachkräfte, durch eine noch attraktivere Ausbildung, durch die Schaffung neuer Plätze in Betreutem Wohnen und in Alten- und Pflegeheimen und beispielsweise auch durch das Zurückholen ehemaliger Pflegekräfte, die länger schon aus dem Beruf ausgestiegen sind. Hierzu startet die Stiftung Juliusspital und das KWM gerade eine große gemeinsame Werbekampagne zum sorglosen Wiedereinstieg in die Pflege, und auch in Sachen Ausbildung tut sich etwas: 2026 baut die Stiftung ein neues Pflegeausbildungszentrum in der Klinik Straße 8 – mit modernster Ausstattung, um die Aus- und Weiterbildung der Pflege noch attraktiver zu gestalten.“ 

LL: Trotz aller Bemühungen wird es kein Spaziergang werden, die Pflege der Zukunft sicherzustellen. Zumal immer mehr Strukturen wegbrechen, die bisher vielfach vor Pflegebedürftigkeit bewahrt haben wie in Würzburg die geriatrischen Rehas, die beide aufgeben mussten. Hat diese Tatsache mittel- und langfristig Konsequenzen, sprich werden mehr Menschen eher in Alten- und Pflegeheimen landen? 

KE: „Ja, selbstverständlich! Das Wesen der geriatrischen Behandlung ist ja, dass Seniorinnen und Senioren nach ihrem Aufenthalt wieder laufen, sich bewegen können. Das heißt, wir schaffen da ein zusätzliches Problem, in dem wir Menschen nicht mehr so gut rehabilitieren können, wie es ginge, wenn es weiterhin geriatrische Rehas in ­Würzburg gäbe. Und das ist aus meiner Sicht auch ein großes Problem, wenn ich jetzt auf das Thema Krankenhaus und das Thema Ambulantisierung komme. Man kann Operationen ambulant machen – keine Frage. Aber wenn ich keine Nachsorgestrukturen bereitstelle, wie geriatrische Rehas bei älteren Patientinnen und Patienten, kann das bei den Erkrankten frühzeitiger zu Pflegebedürftigkeit führen. Und das ist nicht nur unschön für die Betroffenen, sondern wird zu einer zusätzlichen Belastung für das System werden.“

LL: Krankenhaus­reform mit Transparenz-Register, Ambulantisierung und zukünftige Level-Kliniken verschiedener Versorgungstufen. All diese Maßnahmen haben bereits jetzt zu einem kalten Strukturwandel und einem massiven Krankenhaussterben geführt (wir berichteten). Wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung ein? 

KE: „Die Bevölkerung bekommt momentan durch die Politik vorgegaukelt, dass die Krankenhausreform schnell für Besserung sorgt, was nicht mit der Realität übereinstimmt. Das Gesetz dazu wurde zwar verabschiedet und der Bundesrat hat auch zugestimmt. Es gibt aber zum Beispiel drei Rechtsverordnungen, die bis heute nicht erlassen sind, was für Stillstand sorgt. Und ebenso führt der Begriff ‚Vorhaltefinanzierung‘ in die Irre, da dieser nicht bedeutet, dass Krankenhäuser Geld bekommen, ohne Leistungen zu erbringen. Das neue Konzept ist wieder leistungsabhängig. Kliniken mit einem frei-gemeinnützigen Träger, wie das KWM bekommen die kompletten schädlichen Konsequenzen dieses Vorgehens ab.“ 

Share.