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„Vor wichtigen Entscheidungen und oft auch in Situationen des Alltags spüren wir instinktive Neigungen, nehmen fest verankerte Überzeugungen, Gefühle und Gedanken wahr“, erklärt Lena Diefenbach, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie (VT), Systemische Therapie und Stellvertretende Leitende Oberärztin am Krankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Schloss Werneck. „Hör einfach auf deine innere Stimme!“ Das sei zwar leicht gesagt, aber die erste Stimme sei oft nicht die einzige, so die Expertin. Vielmehr erleben wir ein ganzes Spektrum innerer Anteile: von ermutigend bis verurteilend, von vorsichtig bis rebellisch. Wie wir damit umgehen, kann stärkend oder hemmend sein. Die Oberärztin empfiehlt, diesen Stimmen Raum zu geben – aber nicht die Kontrolle: „Wir sollten wahrnehmen, dass es meist unterschiedliche Anteile gibt, die uns schützen, lenken oder unterstützen wollen.“ Entscheidend sei, aus einer inneren Distanz heraus zuzuhören, sie einzuordnen und nicht sofort zu glauben. Wer erkennt, dass die strenge Stimme vielleicht aus Kindheitstagen stammt oder die skeptische aus einem alten Beziehungsmuster, kann beginnen, neu zu bewerten. Ein praktischer Weg: Gedanken aufzuschreiben. In Tagebuchform oder als Mindmap. So entstünden neue Perspektiven. „Sind die Stimmen erstmal auf dem Blatt, können wir sie im Außen betrachten“, erklärt Diefenbach. Diese Externalisierung, also das Auslagern, ermögliche einen deutlich leichteren, klareren Umgang. Doch nicht jede Stimme bleibt im psychisch gesunden Rahmen. Wenn Bewertungen übermächtig werden, Grübelschleifen kein Ende finden oder die innere Kritik nur herabsetzt, könne das ernsthafte Folgen haben. „Wird die kritische Stimme zu groß und nicht mehr ins rechte Verhältnis zu anderen inneren Anteilen gesetzt, kann eine depressive Stimmungslage gefördert oder aufrechterhalten werden“, warnt die Fachfrau. Spätestens dann sei es wichtig, Hilfe in Anspruch zu nehmen – etwa bei Hausärztin oder Hausarzt, bei Beratungsstellen oder dem Krisendienst Unterfranken. Auch das Umfeld beeinflusst unsere inneren Stimmen. Erwartungen von außen, unausgesprochene Rollenbilder oder Beziehungsmuster mischen mit in unseren Selbstgesprächen. Als soziale Wesen leben wir ständig in Interaktion mit anderen. „Andere Menschen haben andere Meinungen, Wünsche und Gedanken. Ganz basal lernen wir das schon als Kinder. Aber auch als Erwachsene sollten wir der ‚Theory of Mind‘, also unserer Fähigkeit uns vorzustellen, dass andere anders denken und fühlen, immer wieder eine extra Einheit Aufmerksamkeit schenken“, rät Lena Diefenbach. So könnten wir auf Erwartungen anderer besser reagieren, unsere eigenen Erwartungen anpassen und hilfreicher interagieren. Und wenn es einmal zu viel wird? Grübelstopp-Signale, Atemübungen oder Bewegung können helfen, aus dem inneren Gedanken-Karussell auszusteigen. Wer allerdings Stimmen hört, die sich nicht mehr als innerer Dialog erkennen lassen, sollte ärztliche Hilfe aufsuchen. Die Fachärztin betont: „Erst wenn ein innerer Dialog nicht mehr als solcher erkannt werden kann, wenn unerschütterliche Überzeugungen entstehen, die keinen Realitätsabgleich mehr zulassen, spricht man zum Beispiel von wahnhaften Symptomen.“ Doch ganz gleich, ob leises Zweifeln oder lautstarke Kritik: Unsere inneren Stimmen wollen etwas kundtun. „Ob sie zum Freund oder zum Feind werden, hängt vom Kontext ab, in dem wir diese Stimmen wahrnehmen.“
Im Notfall ist jederzeit der unterfränkische Krisendienst unter Telefon 0800.6553000 
zu erreichen, www.psychiatrie-werneck.de
					 
						
		