Ein Mensch ist suchtkrank. Familie, Freundinnen und Freunde oder Kolleginnen und Kollegen wollen helfen. Das ehrt sie. Doch wer es gut meint, ist nicht immer gut beraten. Es kann eine Co-Abhängigkeit entstehen. „Mit dem Begriff wird, im engeren Sinne, das besondere Verhalten von Angehörigen gegenüber einer suchtkranken Person bezeichnet“, erklärt Dr. Notker Zorn, Oberarzt im Krankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Schloss Werneck. „Co-Abhängige unterstützen, bewusst oder unbewusst, die Sucht.“ Dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie zufolge könne dies auf unterschiedliche Weise geschehen: So würden Ausreden erfunden, weshalb die erkrankte Person nicht zur Arbeit erschienen ist. Oder der Konsum werde vor Bekannten entschuldigt. „Manche Co-Abhängige geben auch Geld, um auf diese Weise zu besänftigen“, so der Experte. Es entstehe ein Teufelskreis. Denn obgleich sie selbst darunter leiden, würden Co-Abhängige über lange Zeit das Verhalten der suchtkranken Person decken und ertragen. Dr. Zorn nennt hier unter anderem unangemessene Forderungen des Suchtkranken, Ungeduld, emotionale Ausbrüche bis hin zu körperlicher Gewalt. „Langfristig hält dieses Verhalten den Konsum und die Co-Abhängigkeit aufrecht.“ Verhaltenstherapeutisch gesehen wirke die Co-Abhängigkeit wie ein Verstärker. „Indem ich dem Abhängigkeitskranken behilflich bin, bestätigte ich ihn in seinem Verhalten.“ Dies führe gerade nicht dazu, dass der Abhängigkeitskranke versucht, die Sucht eigenständig zu bewältigen. „Es fehlt der richtige Anreiz.“ Dem Facharzt zufolge gebe es Hinweise darauf, dass manche Menschen besonders anfällig dafür sind, sich co-abhängig zu verhalten. Gerade wer unter allen Umständen helfen möchte, neige dazu – „helfen stabilisiert den Selbstwert“. Doch: „Angehörige von Suchtkranken fühlen sich oft überfordert und stehen der Suchterkrankung zumeist ohnmächtig gegenüber“, erklärt Dr. Zorn. „Angehörige versuchen, die Situation unter Kontrolle zu bringen – oftmals so lang, bis sie selbst erschöpfen. Manch einer bekommt Kopfschmerzen und Schlafstörungen, ein anderer flieht selbst in den Konsum.“ Doch was kann man tun, wenn man bemerkt, dass man als nahestehende Person der abhängigen Person mehr schadet als nutzt? Und wie aus einer Co-Abhängigkeit wieder herauskommen? Der erste Schritt sei, sich selbst zu beobachten: „Wie sehr nehme ich teil an der Suchterkrankung? Inwieweit habe ich mich verändert, inwieweit richte ich mein Verhalten an der suchtkranken Person aus? Fühle ich mich körperlich und psychisch noch stabil oder bemerke ich, dass ich erschöpfe? Dann ist es höchste Zeit dafür, dass ich mir helfen lasse“, fasst der Arzt zusammen. Unterstützung bieten Selbsthilfegruppen und Suchtberatungsstellen. Diese sind nicht nur Anlaufstellen für die erkrankte Person, sondern auch für deren Angehörige. Dr. Zorn appelliert: „Nicht mehr nach außen den ‚schönen Schein‘ wahren, sondern sich informieren und offen über Sucht sprechen – das befreit! Wichtig ist es, sich seiner eigenen Verantwortung bewusst zu werden und sich zu sagen: Ich selbst bin nicht schuld an der Erkrankung eines anderen Menschen“, sagt Dr. Zorn. „Ich bin in erster Linie für mich und meine eigene Gesundheit verantwortlich und darf, ja muss zunächst einmal für mich selbst sorgen.“ Wer bemerke, dass die eigenen Grenzen erreicht sind, tue gut daran, dem Suchtkranken dies deutlich zu sagen und ihn an Fachleute zu verweisen. „Ich darf mir Hilfe holen, vor allem aber darf ich klare Grenzen setzen, wenn meine eigenen Kräfte (und vielleicht auch meine finanziellen Mittel) zu erschöpfen drohen.“
Raus aus dem Teufelskreis!
Dr. Notker Zorn, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, über Co-Abhängigkeit
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