Es ruckelt bei der digitalen Arztpraxis

Eine echte Digitalisierung des Gesundheitswesens für alle Patient:innen wird wohl noch dauern. Doch wo hakt es? Ein Gespräch mit dem Hausarzt und berufspolitischen Funktionär Dr. Christian Pfeiffer

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Krankschreibungen, die per Mausklick von der Arztpraxis zu den Arbeitgeber:innen geschickt werden; oder auch elektronische Rezepte, die Patient:innen einen Gang in die Apotheke ersparen: Was erstmal nach Erleichterungen klingt, kostet Arztpraxen seit Monaten Zeit und Nerven. „Wir sind der Digitalisierung gegenüber nicht abgeneigt. Aber sie muss funktionieren und die Arbeit erleichtern“, sagt Dr. Christian Pfeiffer. Der Allgemeinmediziner mit Hausarztpraxis in Giebelstadt ist Bezirksvorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbands (BHÄV) in Unterfranken und wurde überdies Ende Januar zum Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns gewählt. Mit dem im Herbst 2019 verabschiedeten Bürokratieentlastungsgesetz III fiel der Beschluss, dass die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) kommt. Mitte 2022 endete die Pilotphase für Arztpraxen, am 31. Dezember jene für Arbeitgeber:innen. Für Patient:innen ist es ein Gewinn, denn die Arztpraxis übermittelt die Krankmeldung nun digital direkt an die zuständige Krankenkasse, Arbeitgeber:innen können sie dort abrufen. Heißt: Patient:innen müssen Arbeitgeber:innen lediglich über die Erkrankung informieren, aber keinen „gelben Schein“ mehr schicken. Warum aber hakt es zum Teil immer noch in mancher Arztpraxis? Hier kommt laut Dr. Pfeiffer die Telematik-Infrastruktur (TI) ins Spiel. 

Sichere Datenautobahnen

Es braucht eine sichere „Datenautobahn“ fürs Gesundheitswesen für eine schnelle und sichere digitale Kommunikation zwischen Ärzt:innen, Krankenkassen, Krankenhäusern, Psychotherapeut:innen, Apotheken und anderen. Entwickelt wurden spezielle Konnektoren, die – vom Grundprinzip her vergleichbar mit einem Router – ausschließlich Praxissysteme hochsicher an die Telematik-Infrastruktur anbinden sollen. Über ein Kartenlesegerät in der Praxis identifizieren sich Ärzt:innen über den elektronischen Heilberufsausweis und Patient:innen mit der elektronischen Gesundheitskarte. Der Konnektor vernetzt das Kartenlesegerät sowie das Praxisverwaltungssystem (PVS) mit der TI. Das System ist verpflichtend, Arztpraxen, die die Umsetzung verweigerten, mussten mit Strafzahlungen rechnen. Nur: Nicht jedes PVS harmoniert gleichermaßen gut mit den offiziell zertifizierten Konnektoren. So komme es in einigen Praxen laut Dr. Pfeiffer nach wie vor zu Systemabstürzen, wenn Arztpraxen Gesundheitskarten einlesen wollen. Und der:die Patient:in muss warten. 

Praxis-Tauglichkeit

Und schon klopft die nächste Herausforderung mit der ebenfalls verpflichtenden Einführung des eRezepts an die Praxistüren. Das Rollout war zunächst für 2022 geplant. Die Einführungsphase in ersten Testregionen musste allerdings wieder gestoppt werden, Datenschützer:innen sahen im Verfahren Möglichkeiten des Missbrauchs. Das angedachte Prozedere ist nun wieder eingestampft, bis Mitte 2023 soll eine andere Lösung kommen. Pfeiffer befürchtet, dass mit dem eRezept für Arztpraxen ein „wahnsinniger zusätzlicher Zeitaufwand“ verbunden sein wird. Warum? 95 Prozent der bis zu 100 Rezepte, die er täglich ausstellt, seien „Wiederholungsrezepte“ von Patient:innen, deren Krankheitsbilder er kenne. Sie würden ausgedruckt, ihm vorgelegt, er prüfe sie mit einem Blick und unterschreibe. Dieses verpflichtende Prüfen dürfte bei digitalen Abläufen in Zukunft mit deutlich mehr Aufwand verbunden sein. Und auch bei der sogenannten elektronischen Patientenakte (ePA) ruckelt es. Dahinter steht die Idee, dass Informationen über die Gesundheit der Patient:innen nicht allein in den verschiedenen Aktenordnern der Arztpraxen und der Krankenhäuser liegen sollten, denn gehen Patient:innen einmal woanders hin, liegen oft nicht alle Informationen über Medikamente, Vorerkrankungen, bisherige Untersuchungen und Co vollständig vor. Manche Untersuchung muss unnötig wiederholt werden. „Eine Vernetzung wäre sehr sinnvoll und zum absoluten Nutzen der Patient:innen“, ist Hausarzt Pfeiffer überzeugt. Doch stellt sich auch hier die Frage nach dem „Wie“.

Digitale Arztpraxis als Zugewinn?

Seit Anfang 2021 bieten gesetzliche Krankenkassen ihren Versicherten eine App zum Download an, mit der sie Zugang zu ihrer ePA bekommen. Nur: Kaum ein:e Patient:in nutzt diese Möglichkeit – vor allem auch, weil das Zugriffsmanagement aus datenschutzrechtlichen Gründen extrem restriktiv und kompliziert ist. Patient:innen müssen die Akte selbst anlegen, mit Daten befüllen und die Nutzung in Arztpraxen und Krankenhäusern jeweils einzeln freigeben. Inzwischen wird über ein „Opt-out“-Modell diskutiert. Dann würde für jede:n eine ePA eingerichtet – und Patient:innen müssten aktiv widersprechen, so sie dies nicht wollen. In anderen Bereichen indes sieht Dr. Pfeiffer in der „digitalen Arztpraxis“ einen echten Gewinn – etwa mit Blick auf die elektronische Terminvereinbarung. Die Möglichkeit würde zwar noch viel zu wenig genutzt. Aber keine der Praxen, die sich dafür entschieden habe, würde das Rad wieder zurückdrehen wollen. In Videosprechstunden sieht der Giebelstädter indes keinen Fortschritt: „Was ich per Video machen kann, kann ich auch telefonisch erledigen.“ Eher würde er sich wünschen, dass telefonische Krankschreibungen, die aktuell nur bei Atemwegsinfekten möglich sind, insgesamt zugelassen würden. Nicht nur Patient:innen, sondern auch der Arztpraxis wäre geholfen. Und wie steht es um digitale Tools? Hier gibt es wohl schon recht gute Anwendungen, etwa um mit Sensoren den Blutzuckerspiegel zu überwachen oder den Blutdruck bei Herzleistungsschwäche zu kontrollieren. Was fehlt, sind digitale Schnittstellen, so dass auch Ärzt:innen darauf direkt zugreifen können. Und selbst wenn dies ginge, gibt Dr. Pfeiffer exemplarisch zu bedenken, dass eine Arztpraxis nicht ständig alle Daten von Patient:innen mit Diabetes im Blick behalten könnte. Dennoch sieht er in entsprechenden digitalen Tools einen Gewinn: Für die Selbstnutzung seien sie super – und Patient:innen könnten die digitalen Daten zudem in der ärztlichen Sprechstunde vorlegen.

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