
©Julia Riese
Laut Schätzungen des Bundesgesundheitsministeriums kommen jedes Jahr etwa 10.000 Babys mit alkoholbedingten Schädigungen, sogenannten fetalen Alkoholspektrum-Störungen (FASD) zur Welt. Alkoholkonsum in der Schwangerschaft ist damit in Deutschland der häufigste Grund für nicht genetische Behinderungen. Für Lena Hess (Name geändert) war die Diagnose FASD mit Anfang 20 eine Erleichterung. „Endlich hatte ich eine Erklärung für alles, was schiefgegangen ist. Warum ich mich anstrengen kann, wie ich will, und trotzdem nicht zurechtkomme“, sagt die Nürnbergerin. Schon ihr ganzes Leben lang hatte Hess das Gefühl, dass bei ihr etwas anders ist. „In der Schule habe ich keinen Anschluss gefunden. Ich habe immer wieder Ausbildungen abgebrochen, hatte Depressionen und habe meinen Alltag nicht hinbekommen.“ Aufgewachsen ist die junge Frau bei einer Pflegefamilie, weil ihre leibliche Mutter neben schweren psychischen Erkrankungen auch eine Suchterkrankung hatte. Auf den Rat ihrer Pflegemutter hin fährt Hess zu einem Spezialisten für FASD-Diagnostik, „und da war es relativ schnell ziemlich klar. Ich weiß noch, dass der Arzt zu mir gesagt hat: ‚Jetzt wissen Sie, dass Sie nicht daran schuld sind‘. Es war auch ein Schock, aber viele Puzzleteile haben sich zusammengesetzt“. Unterstützung bekommt Hess seitdem vom FASD-Netzwerk Nordbayern. Der Verein berät Betroffene und Angehörige, vernetzt Fachkräfte von Forschung bis Therapie an einem Runden Tisch und engagiert sich in der Prävention. Lehrkräfte können dort Informationsmaterial für den Unterricht bekommen oder die Wanderausstellung „Zero!“ an ihre Schule holen. Die 3D-Ausstellung zeigt Jugendlichen anschaulich, wie sich ein Baby in der Schwangerschaft entwickelt und welche Auswirkungen Alkoholkonsum haben kann. Auch mit Jugendämtern arbeitet das FASD-Netzwerk eng zusammen, steht in Kontakt mit Kranken- und Pflegekassen, wenn es darum geht, ob eine Pflegestufe für die Betroffenen notwendig wird, und bietet weitere sozialrechtliche Hilfen an. Lena Hess erfuhr über den Verein zum Beispiel, dass sie einen Schwerbehindertenausweis bekommen kann. Auch in ihrem Alltag braucht sie Hilfe: „Ich kann keinen Haushalt alleine führen und mir fällt es schwer, mich ordentlich zu ernähren. Mit Menschenmengen und lauten Umgebungen habe ich Probleme. Einkaufen gehen kann ich nur an guten Tagen“, sagt sie. Bei einer neuen Arbeitsstelle kommt sie selten über die Probezeit hinaus, weil sie sehr oft krank ist. Zu ihrer leiblichen Mutter hat Hess schon lange keinen Kontakt mehr. „Mein Gefühl ihr gegenüber ist immer noch ambivalent, aber ich kann besser damit umgehen. Als Erwachsene kann ich fast so etwas wie Mitgefühl für sie aufbringen.“ Ihr großer Wunsch ist, dass Mädchen schon früh lernen, was Alkohol in der Schwangerschaft anrichten kann, „denn FASD ist so leicht vermeidbar, indem man einfach nicht trinkt“. Das FASD-Netzwerk bietet auch Müttern, die in der Schwangerschaft Alkohol konsumiert haben, Hilfe an und will sie nicht verurteilen. Je früher sie die Unterstützung des Vereins in Anspruch nehmen, desto bessere Fördermöglichkeiten können für ihr Kind gefunden werden.
Schaffe ich es auf den ersten Arbeitsmarkt? Anna-Lena möchte Friseurin werden. Doch beim Lernen braucht sie viel mehr Zeit als andere. Der Grund: Sie lebt mit FASD – ihre Mutter hat in der Schwangerschaft getrunken. Im Berufsbildungswerk in Frechen erhält Anna-Lena die nötige Unterstützung, um ihren Berufswunsch zu erreichen. Wer sich für die ganze Geschichte interessiert, hier der Link zu der ZDF Mediathek: https://kurz.zdf.de/0Zko