Die Krankenhäuser in der Versorgung von COVID-19-Patient:innen, die Apotheken mit der Organisation von Masken, Desinfektionsmitteln und der Erstellung von Impfzertifikaten und die niedergelassenen Ärzt:innen mit ihren hohen Impfquoten – sie alle waren da, als es brannte, und haben so das deutsche Gesundheitssystem in Zeiten der Pandemie vor einem Zusammenbruch bewahrt. Das allerdings habe Spuren hinterlassen, sagt Professor Alexander Schraml, Klinikchef der Main-Klinik Ochsenfurt im Gespräch mit der Lebenslinie. Und er zeigt wenig Verständnis etwa für Vorwürfe des Bundesrechnungshofes¹, dass Kliniken falsche Angaben zu der Auslastung ihrer Intensivbetten in Hochzeiten der Pandemie gemacht hätten: „Die Vorgaben von Seiten der Regierung waren vage und diffus, nach dem Motto: ,Macht mal!‘. Die Kliniken haben gemacht und im Nachhinein beginnt die Erbsenzählerei“.
Erst zwei Monate nachdem es hieß, Kliniken sollten Intensivbetten freihalten und zusätzlich neue schaffen, gab es hierfür schriftliche Zuwendungsvoraussetzungen, auf die im Katastrophenfall aber niemand warten konnte, so Professor Schraml. Dem Bundesamt für Soziale Sicherung zufolge reden wir hier von rund 14 Milliarden Euro an Ausgleichszahlungen, die den Kliniken rund 15 Prozent mehr Erlöse beschert hätten als im Vorjahr². Dieser sogenannte Rettungsschirm, der im Juni dieses Jahres auslief, könnte laut Krankenhaus Rating Report 2019 zu einem vermehrten Kliniksterben bis 2022 führen. Geschätzt die Hälfte der Krankenhäuser müsste womöglich Insolvenz anmelden³. „Jeder ist froh, wenn die Feuerwehr nichts zu tun hat, aber da ist, wenn es brennt“, konstatiert das langjährige Vorstandsmitglied des Krankenhaus-Netzwerkes Klinik-Kompetenz-Bayern eG. Und die Feuerwehr werde ja auch bezahlt, wenn es nicht brennt … Als Klinikchef müsse er immer darauf schauen, dass die Belegungsrate in seiner Klinik stimmt, sonst rutsche er in die roten Zahlen: „Das darf so nicht sein!“ Der Mensch müsse doch vor dem schnöden Mammon kommen. Da stehen Fallpauschalen auf dem Zettel, aber der Mensch dahinter (vor allem alte multimorbide Patient:innen und Kinder) steht nicht im Mittelpunkt der Behandlung. „Auch Kliniken müssen für Vorhaltemanagement entlohnt werden, selbst wenn sie nicht immer alle Kapazitäten benötigen.“
Das sei seiner Meinung nach die wichtigste Maßnahme einer dringend erforderlichen Strukturreform des Krankenhauswesens. Zum Pflegenotstand hat er seine eigene Theorie: Viel liege am Teilzeit-Modell, auf das natürlich alle Anspruch haben. Allerdings scheine hier die zugrunde liegende „Life-Work-Balance“ zu einer „Work-Health-Crisis“ zu mutieren. „Wenn alle Teilzeitkräfte rund zehn Prozent mehr Stunden leisten würden, hätten wir keinen Personalmangel in der Pflege“, rechnet Schraml vor. „Es ist kein Köpfe-Problem, sondern ein Stunden-Problem! Um sich auch dieser Herausforderung adäquat stellen zu können, wird es ab Herbst 2022 in Ochsenfurt eine neue Pflegeschule geben, und zwar eine, die erst noch gebaut werden muss“, erzählt Professor Schraml stolz.
Quellen:
¹www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/produkte/beratungsberichte/2021/massnahmen-des-bundes-zur-corona-bewaeltigung-im-gesundheitswesen,
²www.bundesamtsozialesicherung.de/fileadmin/redaktion/allgemeine_dokumente/20200806BAS_Taetigkeitsbericht2019.pdf,
³www.dgiin.de/allgemeines/pressemitteilungen.html
Das Interview mit Professor Alexander Schraml, Geschäftsführer der Main-Klinik in Ochsenfurt, führte Lebenslinie-Chefredakteurin Susanna Khoury