Wenn alles zu laut ist

Zweimal im Monat treffen sich in Würzburg Menschen, die hochsensibel sind

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Foto: Pixabay

Sie spüren genau, mit welchen Gefühlen ihnen ein anderer Mensch gegenübertritt. Ob es diesem Menschen eher gut geht. Oder ob er schlechte Laune hat. Ob das Gegenüber arg gestresst ist. Obwohl es „cool“ tut. Oder ob sich Unsicherheit seiner bemächtigt hat.

Dass Menschen mit Hochsensibilität (HSP) all dies in Bruchteilen von Sekunden erfassen können, ist an und für sich eine gute Sache. Die Betroffenen selbst erleben ihr Talent zur psychosozialen Feinwahrnehmung allerdings häufig als Überforderung.

Strategien finden

Für Hochsensible ist es darum erforderlich, Strategien zu finden, um mit ihrem ausgeprägten Wahrnehmungsvermögen umzugehen, sagt Anna*, 52 Jahre alt, die vor vier Jahren eine Gruppe für Hochsensible gegründet hat. 60 Männer und Frauen aus der Region haben zu dieser Gruppe inzwischen Kontakt. Zweimal in der Woche kommen Betroffene im Würzburger Selbsthilfehaus zusammen, um sich auszutauschen.

„Einmal im Monat unternehmen wir etwas“, berichtet Anna. Meist geht es in die Natur: „Denn viele Hochsensible versuchen, die Stadt zu meiden.“ Bloß kein Trubel. Bloß kein Krach.

Manchmal, sagt Anna, habe sie das Gefühl, sich aufzulösen, weil sie nur noch in den Emotionen lebt, die sie von anderen Menschen einfängt. Davor müsse sie sich schützen. Und nicht nur davor.

Beschallung abschalten

Anna findet es auch unerträglich, dass Menschen heute unausgesetzt beschallt werden: Im Supermarkt, im Café, in der Kneipe, im Klamottenladen, ja, selbst vor Buchhandlungen macht die Berieselung oft nicht mehr Halt. Das kann die hochsensible Würzburgerin bis hin zu Panikattacken tangieren. Deshalb hat Anna immer Ohrenstöpsel dabei.

Der Aufgabe, die eigene Handlungsfähigkeit in einer für Hochsensible überfordernd lauten und grellen Welt voller irritierender Zwischentöne zu bewahren, muss sich auch Pia* jeden Tag stellen. Die 48-Jährige schloss sich vor drei Jahren der Gruppe an, um Menschen zu finden, die es, wie sie selbst, ruhiger und leiser brauchen.

Dass sie hochsensibel ist, sieht Pia allerdings, ebenso wie Anna, nicht nur als Nachteil an. Man bekommt das Leben dadurch viel intensiver mit, sagt sie. Vor allem in Phasen der Verliebtheit sei dies so: „Ich glaube, auch das ist bei mir wesentlich intensiver als bei anderen Menschen.“

Was für den Großteil der Menschen mehr oder weniger belanglos ist, kann Hochsensible aufwühlen, erschüttern und teilweise körperlich spürbare Schmerzen auslösen. Schätzungen zufolge soll dies für bis zu 20 Prozent der Bevölkerung gelten. Männer nicht ausgeschlossen.

Hochempfindliche Sensoren

Auch an Annas Gruppe nehmen Männer teil. Peter ist einer von ihnen. Sein hochempfindliches Sensorium macht es ihm heute unmöglich, einem Job nachzugehen: „Ich habe nur noch ein Prozent meiner früheren Leistungsfähigkeit.“

Dass er jemals wieder, wie früher, im Tierheim arbeiten könnte, erscheint dem 59-Jährigen heute komplett unmöglich. Das Leid der Tiere, vor allem der Hunde, hatte ihn immer stärker mitgenommen, erzählt er. Hunde hinter Gitter winseln zu hören, wäre für ihn heute schier unerträglich.

*Name von der Redaktion geändert

Kontakt zur Gruppe über das Aktivbüro der Stadt Würzburg unter Telefon 0931.373468

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