Vom alltäglichen Wahnsinn

Ingeborg Wollschläger schildert skurrile Situationen aus der Notaufnahme

0

Man hat mit Menschen quer durch alle Schichten zu tun. Mit Jungen. Alten. Gut und weniger gut Situierten. Krankenschwestern bekommen das pralle Leben ab. Wie „prall“ des Lebens tägliche Wundertüte gefüllt ist, schildert die Würzburgerin Ingeborg Wollschläger in ihrem Buch „Die Notaufnahmeschwester“ – auf witzige Weise, fern jeden Fachjargons, schildert sie skurrile Situationen aus ihrer 20-jährigen Tätigkeit als Pflegerin in einer Notaufnahme.

Wenn von der Pflegebranche die Rede ist, geht es in vielen Fällen um negative Aspekte: Es mangelt an Pflegekräften, die Rahmenbedingungen sind mies, die Burnout-Quote sucht ihresgleichen. Gerade vor dem Hintergrund dieser Negativschlagzeilen wirkt Wollschlägers Buch herrlich erfrischend. Endlich jammert da mal eine nicht. Sondern gibt mit umwerfendem Humor anhand kurioser Anekdoten Einblick in einen Beruf, den die 50-Jährige bis heute als „Traumberuf“ ansieht: „Wären“, schränkt allerdings auch sie ein, „die Rahmenbedingungen besser.“ Krankenschwestern müssen oft ganz schön rödeln. Und sie haben fast täglich mit emotional äußerst belastenden Situationen zu tun. Mitten in diesem Trubel steht dann plötzlich ein Mann auf der Matte, dem irgendetwas Blödes in den Zähnen hängengeblieben war. „Eigentlich hatte er nur Zahnseide gebraucht“, lacht Ingeborg Wollschläger. Ein anderer „Patient“ schlappte in der Nacht an, weil er seinem Kumpel in den Hintern getreten hatte: „Ihm selbst tat nun der Zeh weh.“ Und der Bub, der zu viel Karussell fuhr, und dem deswegen übel wurde, fragt mit naivem Augenaufschlag, nachdem man ihn verarztet hatte: „Wann kann ich das Zäpfchen wieder rausnehmen?“

Man sollte nicht glauben, welch ein viel besuchter Ort die Notaufnahme ist. Zumal dann, wenn sich die Klinik gut erreichbar mitten in der Stadt befindet. „Ich hab‘ noch Licht gesehen, da dachte ich, ich schau halt mal vorbei“, bekam Wollschläger immer wieder zu hören. Die Krankenschwester, die vor über 30 Jahren begonnen hatte, ihren Beruf zu erlernen, und bis April 2018 in der Pflege tätig war, muss schmunzeln: „Hatte ich Nachtdienst, hab ich immer das Licht ausgemacht.“ Was sagen eigentlich die Erlebnisse in der Notaufnahme darüber aus, wie unsere Gesellschaft tickt, hat sich Wollschläger gefragt?

In der Konsequenz startete sie vor fünf Jahren den Blog „notaufnahmeschwester“, der 2017 für den Grimme Online Award nominiert wurde. Rund 400.000 Leser verfolgen seitdem, was die dreifache Mutter über ihre Erfahrungen mit Akut- und mit Notfallpatienten schreibt. Auch ihr Buch stieß auf positive Resonanz. Sie würde sich mehr Menschen wünschen, die sich mit Nachdruck für den in ihren Augen „schönsten Beruf der Welt“ einsetzen, meint Wollschläger: „Ich selbst verstehe mein Buch als Werbung für den Pflegeberuf.“

Allerdings sieht auch sie, dass es im Augenblick nicht sonderlich attraktiv ist, in diesen Beruf einzusteigen. Wollschläger fordert, Pflegekräfte endlich fair zu entlohnen. Denn Applaus und warme Worte reichen nicht. Auch sollte die Pflege endlich durch eine akademische Ausbildung professionalisiert werden. Und eine „echte“ Pflegekammer müsste geschaffen werden, um den Berufsstand angemessen zu vertreten und der Pflege Gehör zu verschaffen.

Ingeborg Wollschläger: Die Notaufnahmeschwester. Ein Alltag zwischen Leben, Tod und Wahnsinn. Penguin Verlag, München, 2020, ISBN 978-3-328-10480-3, Preis 10 Euro,
www.randomhouse.de/Verlag/Penguin-Verlag
und der Link zum Blog: www.notaufnahmeschwester.com

Share.