Schließlich gibt es Schlimmeres

Wie eine Pflegekraft und eine von ihr betreute Bewohnerin die Corona-Krise erleben

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Es ist der Lauf der Geschichte, dass immer wie- der Katastrophen passieren. Kriege. Unglücke. Epidemien. „Da muss man durch“, meint Liselotte Hofmann. Auch jetzt in der Krise sagt die 92-jährige Bewohnerin des Würzburger Marie-Juchacz-Hauses dies immer wieder zu sich selbst und zu ihren Mitbewohnern: „Wir müssen da durch, und wir werden das schaffen!“ Schließlich gebe es Schlimmeres, so die Seniorin, die den letzten Weltkrieg mitgemacht hat: „Da wurde unser Haus zerstört, wir hatten alles verloren.“ Liselotte Hofmann ist kein Mensch, der vor Schwierigkeiten gleich kapitulieren würde.

Ähnlich ist Michaela Rzegotta gestrickt. Die 51-Jährige arbeitet als Pflegfachkraft auf jenem Stockwerk des AWO-Hauses, in dem Liselotte Hofmann seit Mai 2019 wohnt. Natürlich sei anfangs, als die Pandemie ausbrach, alles ziemlich verwirrend gewesen, meint die Pflegerin. Doch das Team habe versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Wie gut das gelang, zeigten die Osterfeiertage: „Für mich war es das intensivste Ostern, das ich bisher in einer Pflegeeinrichtung erlebt habe.“ Dass kein einziges Mitglied ihrer Familie zur akuten Phase der Corona- Pandemie zu ihr kommen durfte, fand Liselotte Hofmann schon sehr schade. Umso größer war ihre Freude, als sie, zumindest vom Balkon aus, an ihrem 92. Geburtstag Mitte Mai ihre Schwiegertochter, die Enkel und Urenkel sehen konnte. Es war sogar möglich, mit den Bewohnern ihrer Gruppe ein wenig zu feiern. „Ich habe bei einem Bäcker Himbeerkuchen gekauft und an alle ausgeteilt“, erzählt Rzegotta.

Die Pflegerin ist stets bemüht, einen guten Job zu machen. In der Krise verdoppelte sie ihre Anstrengungen. „Man konnte ja kaum etwas privat machen, deshalb bin ich öfter mal zwei Stunden länger auf der Arbeit geblieben“, erzählt sie. Die Pandemie wirkte und wirkt sich nicht nur nachteilig aus, sind sich Michaela Rzegotta und Liselotte Hofmann einig. „Das Verhältnis zwischen uns Bewohnern und den Pflegekräften ist dadurch noch enger geworden“, erklärt die Seniorin. „Das lag daran, dass man viel miteinander über das Corona-Virus gesprochen hat. Jeder hatte das Bedürfnis, sich auszutauschen über das, was wir im Fernsehen sahen und hörten.“

Außerdem sorgte das Pflegeteam dafür, dass täglich irgendetwas Schönes auf dem Programm stand. „Wir stellten einen Beschäftigungsplan auf mit Gymnastik, Gesprächsrunden und Spielen“, erzählt Rzegotta. Wer internetaffin war, durfte mit seinen Angehörigen skypen. Liselotte Hofmann allerdings genügte das Telefon. Außerdem durfte sie zu jeder Zeit mit den anderen Senioren ihrer Wohngruppe in Kontakt treten. Mit der Frau, die neben ihr wohnt, hat sie sich inzwischen angefreundet. Die ist ebenfalls 1928 geboren. Und sie hat denselben Beruf erlernt wie Liselotte Hofmann: „Wir sind beide Friseurinnen.“ Doch es gibt auch Unterschiede zwischen den zwei Frauen. So kann Hofmanns Zimmernachbarin das Virus nicht so „easy“ nehmen. Sie habe im Gegenteil ziemlich große Angst. Hofmann: „Ich habe ihr immer wieder gesagt, dass sich alles schon geben wird.“

Dass der Öffentlichkeit durch die Krise klarer wurde, was Pflegekräfte alles leisten, finden sowohl Michaela Rzegotta als auch Liselotte Hofmann gut. „Wir bekommen von den Pflegekräften immer Hilfe, wenn es uns mal nicht so gut geht“, betont Hofmann. Was alles hinter der Pflege steckt, sei den Menschen nun zumindest ein bisschen bewusster geworden, beobachtet Rzegotta. Doch ob das langfristig positive Konsequenzen haben wird, daran zweifelt die Pflegefachkraft: „Wahrscheinlich wird nach der Krise dann doch wieder in erster Linie aufs Geld geschaut.“

Sehr schön war, dass viele Menschen eine halbe Stunde ihrer Zeit geopfert hatten, um den Bewohnern aus dem Marie-Juchacz-Haus während des Lockdowns ein paar aufmunternde Zeilen zu schreiben und sie zu motivieren, durchzuhalten. Vor allem an Ostern sei dies großartig gewesen, berichtet Rzegotta: „Eine Kollegin, die in einem Mehrfamilienhaus lebt, hat dort eine Box aufgestellt und gebeten, Briefe für unsere Bewohner einzuwerfen.“ Die Resonanz war überwältigend. Etliche Menschen wollten den Senioren Mut zusprechen. Die Bewohner freuten sich sehr über diese Schreiben. Und auch über kleine Osterhasen, die ein jeder vor seiner Tür fand. Angst vor Corona, sagen Hofmann und Rzegotta, sei fehl am Platz. „Wenn das Virus kommt, kommt es“, meinen beide, schauen sich an und lächeln. Natürlich sei sie wegen ihres Alters besonders gefährdet, räumt Liselotte Hofmann ein: „Dennoch, Angst darf man sich einfach nicht einreden lassen.“

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