Rückgrat ausbilden

Dr. Josef  Schuster über Wahrheiten der modernen Medizin

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„Als ich vor 30 Jahren in der Klinik war, da gab es auch ökonomische Vorgaben … eine Maxime war: Die Station muss voll sein!“ Da hat man Patienten auch schon einmal übers Wochenende behalten, auch wenn es medizinisch nicht zwingend notwendig war. Heute ist es umgekehrt. Patienten sollten medizinisch gesehen oft noch etwas bleiben, werden aber nach Hause oder in die Reha entlassen!“, betont Dr. Schuster. Foto: ©Zentralrat der Juden/Thomas Lohnes

Mitten im Spannungsfeld, in dem sich moderne Medizin heute befindet, dem zwischen Ökonomie und Fürsorge, steht Internist Dr. Josef Schuster (64) Lebenslinie Rede und Antwort darüber, was die „Wahrheiten“ seines Berufs sind, und ob diese noch gelten.

Lebenslinie (LL): Wie beeinflusst ökonomisches Denken den Beruf des Arztes heute?
Dr. Josef Schuster (JS): „Die Ökonomie hat sich leider – was den Arztberuf angeht – sehr ausgebreitet und meinen Beruf negativ beeinflusst. Als ich mich als Arzt niedergelassen habe, habe ich mir bei der Behandlung von Patienten keine Gedanken um das Wirtschaftliche gemacht. Es lief immer gut, sowohl für mich als auch für meine Patienten. Das Pekuniäre hat vor 30 Jahren keine so große Rolle gespielt. Heute muss ich mir überlegen, wie ich was verrechne, dass die Praxis wirtschaftlich ist. Die Zeiten, in denen eine Arztpraxis ein Auskommen auf hohem Niveau sichert, sind lange vorbei“.

LL: Kollidiert die Ökonomisierung nicht mit dem Selbstverständnis Ihres Berufs?
JS: „Nur, wenn man es zulässt. Für mich gehört die adäquate Betreuung eines Tumorpatienten selbstverständlich dazu, auch wenn sie nicht entsprechend bezahlt wird. Das ist Teil meines Selbstverständnisses als Arzt und ich mache das weiterhin fürsorglich. Da gucke ich nicht auf die Gebührenordnung!“

LL: Wenn ökonomische Vorgaben so vehement in ärztliche Praxis eingreifen, wie wahr ist dann heute noch der Hippokratische Eid?
JS: „Der Hippokratische Eid ist immer noch wahr. Er zieht klare Grenzen, die ein Mediziner bereit sein muss, zu setzen – auch als Assistenzarzt seinem Oberarzt oder Chefarzt gegenüber. Dazu brauche ich zwar Rückgrat, aber es geht.“

LL: Da ist aber doch sicher kein Plädoyer für Alleingänge am Berufsanfang?
JS: „Es fehlt noch an Erfahrung, wenn man vom Studium kommt, da können Alleingänge großen Schaden anrichten. Wer das Staatsexamen hat, ist zwar auf dem Papier Arzt, aber die Praxis fehlt größtenteils. Das war bei mir nicht anders. Als ganz junger Arzt war ich dankbar für Unterstützung von Kollegen und Pflegepersonal. Bei einer Patientin, die einen Asthmaanfall erlitt, gab mir beispielsweise die Stationsschwester den entscheidenden Tipp, welches Medikament, die Patientin in so einem Fall bereits bekommen hatte. …! So ist der Status quo in der Regel, wenn man frisch von der Uni kommt.“

LL: Apropos Rückgrat, braucht man das als Arzt auch bei dem Thema „Zweiklassen-Medizin“?
JS: „Im niedergelassenen Bereich habe ich ein und dieselbe Art von Nadeln, ein Röntgengerät, ein Endoskop, egal ob ich einen Privat- oder Kassenpatienten behandle. Auch bei den Wartezeiten mache ich keine Unterschiede. Bei mir geht es nach medizinischer Dringlichkeit. Aber ich muss auch ehrlicherweise sagen: Ich könnte meine Praxis ausschließlich mit Kassenpatienten nicht wirtschaftlich führen.“

LL: Sie sprechen ehrlich viele Baustellen des Arztberufes an … wie ehrlich sind Sie als Arzt Ihren Patienten gegenüber?
JS: „Prinzipiell sollte zwischen Arzt und Patient ein Vertrauensverhältnis bestehen, nur so kann ich erfolgreich Medizin machen. Und dazu gehört auch, dass ich dem Patienten die Wahrheit sage, sprich reinen Wein zu allen Punkten einschenke. Es gibt eine kleine Einschränkung und das steht in keinem Lehrbuch, nämlich die Frage, ob der Patient im Moment die ganze Wahrheit verkraften kann. Das obliegt der Einschätzung des Arztes. Wenn ich den Eindruck habe, dass ich dem Patienten damit mehr schade als nütze, werde ich ihm zunächst nicht alle Details mitteilen.“

Das Interview mit Internist Dr. Josef Schuster führte Lebenslinie-Chefredakteurin Susanna Khoury.

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