Mensch sein, Mensch bleiben

Würzburger Philosophicum thematisiert ärztliches Handeln zwischen Naturwissenschaft und Humanität

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Naturwissenschaftliche Erkenntnis und technisches Können werden an der medizinischen Fakultät gelehrt. Selten sind Humanität, Ethik und Philosophie hier Bestandteil von Studium und Ausbildung. Dabei sind beide Bereiche für den Arztberuf essenziell – schließlich wird Arbeit am lebendigen Objekt getan. Das Philosophicum an der Würzburger Universitätsklinik versucht seit zehn Jahren genau diese Lücke im Lehrangebot zu schließen und bietet Vorträge und Diskussionen zur Ethik in der ärztlichen Praxis an. Den Vortrag „Mensch sein, Mensch bleiben – Medizin im Spagat zwischen Naturwissenschaft und Humanität“ hielt vergangenes Wintersemester der Leiter des Philosophicums, Professor Thomas Bohrer, Magister der Philosophie und Chefarzt an der Klinik für Thoraxchirurgie des Thoraxzentrums Kulmbach. Professor Bohrer sprach von den heutigen Herausforderungen der Medizin.

Zunehmende Ökonomisierung, Technisierung und Spezialisierung führten zur Beschleunigung und Perfektionierung des medizinischen Betriebs. Die natürlichen Folgen seien Stress und ein wachsender Verlust des individuellen Kontaktes zwischen Arzt und Patient. Aus Sicht der Kosteneffizienz möge das sinnvoll sein. Doch wenn der Arzt beginne, Patienten in immer stärkerem Maße als zahlende Kunden, als Nummern in einem Kalkulationsplan zu betrachten, entfremde er sich damit gleichzeitig von seiner Existenz, die zwar naturwissenschaftlich-biologisch, aber gleichzeitig auch die eines freien und individuellen Geisteswesens mit Bewusstsein, Identität sowie einer eigenen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sei.
Die Überzeugung, der Mensch sei ähnlich der Funktionsweise einer Maschine auf technische Weise erklärbar, sei ein Fehlschluss, so Bohrer. Die Kenntnis einiger Gehirnareale und deren ungefährer Funktion ließe noch lange nicht auf den ganzen Menschen schließen. Ihn als determinierte „Reiz-Reaktionsmaschine“ zu betrachten, würde ihm freie Entscheidungen absprechen, ohne die es auch keine Moral gebe. „Denn eine Maschine kann nicht moralisch handeln. Ohne eigene moralische Zwecksetzung führt sie lediglich Befehle aus. Der Mensch ist mehr als das.“

Professor Thomas Bohrer formulierte daher die Forderung, dass Medizin immer mit Überlegungen zur Humanität verbunden sein müsse. Das Menschliche dürfe nicht als Sache des Einzelnen, als Privatangelegenheit oder Bonus angesehen werden, sondern als zentraler Bestandteil eines jeden Behandlungsprozesses mit realen Auswirkungen darauf, so der Medizinprofessor und Philosoph. Die Überlegungen der Medizin zum Menschen müssten daher in Ausbildung und Beruf ebenso naturwissenschaftlicher wie philosophischer Art sein, damit man der großen Verpflichtung gerecht werden könne, die ein Arzt auch heute immer noch habe: nämlich Menschen zu helfen. Und das erfordere fast immer mehr als im Studium vermittelt werde. Denn nach jahrelangem Lernen am Modell kämen in der Praxis Fragen wie: „Warum habe gerade ich Lungenkrebs?“ Keiner bereite einen darauf vor …

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