Mehr Wahrnehmen als andere

Synästhet Christian Deutschmann setzt sich durch seine Kunst für das Anderssein ein

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©Armin Stock

Hört Christian Deutschmann einen Namen, schmeckt er bestimmte Aromen aus den Buchstaben heraus. „Armin“ etwa schmeckt für ihn nach Schweinefleisch. Mit Knoblauch. Christian Deutschmann vereinigt diese seine spezielle Gabe mit künstlerischer und kulinarischer Fantasie – und kreiert daraus Speisen. In Würzburg tat er dies am 4. Juli hochschulintern auf Einladung von Professor Armin Stock, Leiter des Uni-Zentrums für Geschichte der Psychologie. Ólafur Elíasson, ein dänischer Künstler mit isländischen Wurzeln, meint, dass die Art und Weise, wie ein Mensch die Welt sieht, nicht naturgegeben sei. Also nicht für alle gleich. Jeder sieht die Welt anders. Jeder fühlt und erlebt sie auf seine spezielle Weise. Das hängt mit seiner Wahrnehmung zusammen. Deutschmann gehört zu den schätzungsweise vier bis fünf Prozent der Menschen, die ihre Um- und Mitwelt, im Gegensatz zu ihren Zeitgenossen, „verkoppelt“ wahrnehmen: Er ist Synästhet. „Wobei es auch Synästhesien gibt, die nicht direkt auf Wahrnehmung basieren“, betont der Künstler aus dem schwäbischen Pöttmes. Synästheten seien häufig auch von besonderer Empathie und Intuition. Gemeinsam ist ihnen, dass mindestens zwei Sinne sozusagen zusammenlaufen. Synästheten können Klänge oder Ziffern farblich sehen oder Worte schmecken. Manchmal spielen neben Geschmack und Geruch weitere Sinneseindrücke in eine Wahrnehmung hinein. „Synästhesie ist etwas extrem Subjektives, es gibt unheimlich viele Formen“, sagt Christian Deutschmann. Bis zu 80 würden vermutet: „Ich selbst habe wohl 25.“ Einer Online-Ausstellung im Zentrum für Geschichte der Psychologie zum Thema „Synästhesie” ist es zu verdanken, dass Christian Deutschmann und Professor Stock zusammenkamen. Die noch mindestens bis Januar 2025 zu besuchende 3D-Schau basiert auf dem Nachlass des Psychologen Georg Anschütz. „Wir zeigen von ihm gesammelte Bilder visueller Eindrücke von Synästheten mit faszinierender Ästhetik“, berichtet der breit ausgebildete Psychologe, der eine frühe Prägung in experimenteller Psychologie erfuhr, sich in dieser auch zu Hause fühlt, dennoch aber offen für theoretische, pragmatische und anwendungsbezogene Ansätze ist. Deutschmanns Idee, das Thema „Synästhesie“ über kulinarische Genüsse begreifbar zu machen, fand Stock sofort gut. Bei der Abendveranstaltung, die Teil von Christian Deutschmanns Projekt „Perception of a world by a synesthetic point of view“ war, nahmen Akademikerinnen und Akademiker verschiedener Länder teil. An einem reich gedeckten Tisch wurden 14 Speisen präsentiert: „Emma“, „Bilge“, „Maninder“, „Michaela“, „Mehri“ oder „Martika“. „Angelika“ inspirierte Christian Deutschmann zu einem Gericht aus Melone, Muscheln und Honigsoße. In seinen Projekten geht es dem Synästheten nicht nur darum, an die Faszination anzudocken, die Synästhesie ausübt. „Was immer ich mache, frage ich mich: ‚Wozu ist das gut?‘, erläutert der Künstler. Er möchte ein tieferes Verständnis wecken. Und er verbindet sein synästhetisch inspiriertes, künstlerisches Engagement mit dem One-World-Gedanken. Jeder Buchstabe, jeder Name trägt seinen Teil zum Gesamtkunstwerk bei. In absolut gleichwertiger Weise. Am Ende entsteht kein Kauderwelsch. Alles fügt sich ein in Harmonie. 2025 planen Professor Armin Stock und Christian Deutschmann derzeit vage eine öffentliche Veranstaltung zum Thema „Synästhesie” in Würzburg. Sollte diese zustande kommen, sollte nicht nur wissenschaftlich disktuiert werden. So könnte es auch um die Frage nach dem Umgang mit Anderssein gehen. „Ich fände es schön, würden Menschen in der Begegnung mit ‚Fremden‘ nicht all die Fragen stellen, die sie normalerweise stellen, etwa, wo der andere herkommt”, sagt Deutschmann. Warum könnten sich nicht auch mal Nichtsynästheten fragen, wie der Name des anderen schmeckt?  

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