Mehr MRSA in Pflegeheimen

Lebenslinie hat sich mit Hygieniker Dr. Andreas Schwarzkopf über Infektionsprävention in der Pflege unterhalten

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Lebenslinie (LL): Krankenhäuser beklagen, dass Patienten aus Altenheimen oftmals MRSA in die Klinik einschleppen, warum treten vor allem in Heimen so oft Keime auf?
Dr. Andreas Schwarzkopf (AS): „Heime unterliegen – anders als Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen – dem Paragraf 36 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Damit sind Isolierungen nicht erlaubt, wie auch die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) in ihrer Empfehlung ‚Infektionsprävention in Heimen‘ von 2005 betont. So können sich hier multiresistente Erreger ausbreiten, da die Heimbewohner oft MRSA-Träger sind. Aber ohne Infektion werden sie erst beim Screening, das viele Krankenhäuser bei der Aufnahme durchführen, entdeckt. Da jedoch multiresistente Erreger mittlerweile auch in Badeseen und auf Einkaufswagengriffen auftauchen, sollte man alte Menschen nicht in den Stubenarrest schicken. Fundierte Risikobewertungen sind hilfreich und ermöglichen eine rationale Perspektive“.

LL: Die frühe, oft zu frühe Verlegung von Patienten von Akutkliniken in Nachsorgeeinrichtungen stellt alle Beteiligten vor neue Herausforderungen. Wie muss sich beispielsweise eine Reha-Einrichtung bei der Weiterversorgung neu aufstellen, um vor allem in der Pflege Infektionsrisiken zu vermeiden?
AS:
„Das DRG-System (Diagnosebezogene Fallgruppen) hat eine Tendenz gefördert, Patienten postoperativ etwa nach Endoprothesen-Einbau zwar mit ‚reizlosen Wundverhältnissen‘, aber noch erhöhtem C-reaktivem Protein (CRP, Marker für Gewebsschäden und Entzündungen) zu entlassen. Der Abfall auf den Normwert sollte unbedingt in der aufnehmenden Einrichtung kontrolliert werden. Sinkt der CRP nicht, kann dies etwa ein Indiz für eine Infektion mit schwach pathogenen Erregern wie Hautstaphylokokken sein. Zu diesem Zeitpunkt kann noch antibiotisch behandelt werden, später ist meist eine Revisionsoperation notwendig. Rehabilitationskliniken können bei Vorhandensein multiresistenter Erreger das Konzept der ‚funktionellen Isolierung‘ praktizieren. Bis auf wenige Ausnahmen (etwa Gruppenspiele mit Zuwerfen von Bällen, Musiktherapie mit schwer oder nicht zu desinfizierenden Instrumenten) können die Patienten alle Therapien mitmachen, wobei die Sicherheit für die Mitpatienten durch Hände- und Flächendesinfektion gewährleistet wird. MRSA braucht aufgrund der heute exzellenten Behandlungsmaßnahmen und der Tatsache, dass 20 bis 30 Prozent der Menschen Träger des genauso infektiösen ‚normalen‘ Staphylococcus aureus sind, im Grunde keine Extramaßnahmen. Dies gilt auch für 3MRGN (Multiresistente gramnegative Stäbchenbakterien)“.

LL: Welche Personengruppen laufen besonders Gefahr, sich eine Infektion einzufangen?
AS:
„Wenig kann Hygiene am Risiko verändern bei schlecht eingestelltem Diabetes, Dialysepatienten, Patienten mit Abwehrschwäche verschiedener Ursachen von Krebs bis maximaler Fettleibigkeit und bei chronischen Wunden. Besonders wirkungsvoll dezimiert Hygiene das Risiko bei Kathetern aller Art, Ports aber auch PEG-Sonden“.

LL: Sehen die Empfehlungen für Langzeitpflege, Altenheime, Häusliche Pflege, betreutes Wohnen unterschiedlich aus?
AS:
„Ja, hier werden definitiv Unterschiede gemacht. Beispielsweise kann man Menschen, die in Privatwohnungen leben, wie es in der Häuslichen Pflege und im betreuten Wohnen der Fall ist, keine Hygienevorschriften bezüglich Reinigung, Wäsche oder Lebensmittel machen. Der Schutz für die nachfolgend Betreuten wird also über konsequente Anwendung der Händehygiene und etwa durch Schutzkleidung erreicht. So haben ambulante Dienste Hygienepläne, die aber nur vom und für das Personal umgesetzt werden. Altenheime sollen gleichfalls ein wohnliches Ambiente bieten, die Bewohner sollen an Gemeinschaftsveranstaltungen teilnehmen dürfen. Dies verträgt sich nicht mit allzu strikten Hygienevorschriften. Dennoch ist der Hygieneplan hier deutlich umfangreicher und macht auch Aussagen über Reinigung und Desinfektion sowie Lebensmittelhygiene. Dazu kommt ein standardisiertes, desinfizierendes Waschverfahren für Bettwäsche und Handtücher.“

LL: Kann man sagen, dass das Infektionsrisiko in der Pflege nach aktuellem Stand eher gering oder eher groß ist?
AS:
„Insgesamt muss man fair sein: Das Patientenklientel, das Pflege braucht, hat per se eine etwas bis stärker erhöhte Infektionsgefahr. Dass aber in Pflegeeinrichtungen relativ gesehen deutlich mehr Infektionen auftreten als in der Allgemeinbevölkerung glaube ich nicht. Was häufiger ist, sind Besiedlungen mit multiresistenten Erregern“.

Das Interview mit Hygieniker Dr. Andreas Schwarzkopf führte Lebenslinie-Chefredakteurin Susanna Khoury

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