„Außerklinische Intensivpflege ist das Angebot an Menschen, die so schwer erkrankt sind, dass sie 24 Stunden ärztliche und pflegerische Interventionen benötigen, um am Leben zu bleiben“, erklärt Gabriele Schuster. Zusammen mit Dr. Tim Stelzer leitet sie das 2016 mit Unterstützung des Ärztenetzwerks Mainfranken gegründete IPT – Intensivpflegeteam. Gemeinsam bieten sie seither eine ganzheitliche Intensivpflege-Betreuung von zumeist tracheotomierten und beatmeten Erwachsenen in Wohngemeinschaften in Würzburg und Schweinfurt, aber auch zuhause, an. Lebensqualität, also ein würdiges und soweit möglich selbstbestimmtes Leben führen, das stehe Schuster zufolge ganz oben auf der Agenda. Das gelänge mit einer interdisziplinären Mannschaft, bestehend aus einem pflegerischen Team, Ärztinnen und Ärzten sowie Therapeutinnen und Therapeuten. „Die Menschen in den Wohngemeinschaften organisieren sich selbst“, erklärt Gabriele Schuster das Konzept. Das pflegende Team verstehe sich als Gast. „Die Bewohnerinnen und Bewohner definieren, wann wer aufstehen möchte, was im Fernsehen läuft oder was gekocht wird.“ Bis sie auf dieser Betreuungsstufe ankommen, liegt meist ein harter Weg hinter ihnen. Ein Schlaganfall, Autounfall oder ähnliches reißt sie aus dem Leben und sie erwachen auf der Intensivstation. „Wir wissen aus Studien, dass so etwas Traumata auslösen kann“, erklärt die Diplom-Psychologin. Auch die anschließende Reha sei eine anstrengende Zeit. Dort müssten sie lernen, wieder allein zu atmen oder zu schlucken. „Das macht Angst. Und es schaffen nicht alle.“ Jene, die weiterhin Unterstützung benötigen, fänden daraufhin oft den Weg in die Wohngemeinschaft. „Die Menschen kommen mit einem Schock bei uns an“, umreißt Schuster die Situation. 14 Tage seien sie zunächst Hochrisiko-Patientinnen oder -Patienten. „In dieser Zeit müssen wir besonders gut auf sie aufpassen. Viele erholen sich aber, lernen uns und das neue Leben kennen und arbeiten mit.“ Ruhe und Zeit, die wird sich in den Wohngemeinschaften genommen, vorhandene Familienstrukturen, wenn möglich, eingebunden. Es ist ein Kommen und Gehen ohne Besuchszeiten oder Pforte. Externe Logopädinnen und Logopäden, Ergotherapeutinnen und -Ergotherapeuten, Physiotherapeutinnen und -therapeuten sowie weitere Fachdisziplinen – sie alle sind gemeinsam mit dem speziell ausgebildeten Pflegefachteam bestrebt, die Menschen wieder zu mobilisieren. Selbst tierische Unterstützung sei im Einsatz. „Aufgrund dieses multidisziplinären Konzepts erreichen wir eine Dekanülierungsquote von knapp 20 Prozent. Jeder Fünfte schafft es also zurück nach Hause. Es ist keine Einbahnstraße“, so Schuster. Doch selbst, wenn man in der Wohngemeinschaft bleibt, sei ein gutes Leben möglich. Ein Zoo-Besuch mit Beatmungsmaschine? Kein Problem! „Der allergrößte Anteil der Pflege wird durch die Krankenkasse und durch die Pflegekasse übernommen“, erklärt die Fachfrau. Falls nötig, springe auch der Sozialhilfeträger ein. Im Laufe der Zeit haben Gabriele Schuster und ihr Team viele schöne Momente erlebt. Da ist zum Beispiel der junge Noah, ein „Strahlemann und Kämpfer“, der nach einem schweren Autounfall als Wachkomapatient zur IPT kam und sich mittlerweile zurück in ein aktiveres Leben gekämpft hat. Oder Senior Peter, der schwerstpflegebedürftig ankam und sich selbst aufgegeben hatte. Knapp zwei Jahre später ist er zurück in sein Haus gezogen. Es gibt aber auch die anderen, die hier viele Jahre bleiben und hier auch sterben. „Das trifft auch professionelles Personal sehr“, sagt Gabriele Schuster. Schließlich sei man im Laufe der Zeit zusammengewachsen. In den Wohngemeinschaften ist das volle Leben möglich. In all seinen Facetten, Kurven und Kapriolen und für alle Beteiligten.
Keine Einbahnstraße
Diplom-Psychologin Gabriele Schuster: Wie außerklinische Intensivpflege gelingen kann
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