Grenzen und Freiräume

Das Ballett „Eros“ und ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie über die Liebe

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Bereits im Frühjahr 2024 sorgte das Ballett „Eros“ für ekstatischen

Jubel im Mainfranken Theater. Ab 18. Oktober werden die Stücke von Robert Glumbek und Dominique Dumais wiederaufgenommen. Das mehrteilige Tanzprogramm widmet sich einer der ursprünglichsten menschlichen Erfahrungen: der Liebe in all ihren Facetten – von Leidenschaft und Sehnsucht bis hin zu Harmonie und Konflikt. Die impressionistische Musik von Szymanowski, Debussy und Ravel begleitet die tänzerische Reise, die von mythischen Bildern inspiriert ist. Wie der Philosoph Platon beschreibt, ist Eros ein „Drang nach dem Schönen, Wahren und Guten“, ein Bindeglied zwischen Körper und Geist. Diese Idee greift die Inszenierung auf: Bewegungen der Planeten, Liebesgeschichten der Götter und das Aufeinandertreffen von Menschen verbinden sich zu einem vibrierenden Kaleidoskop der Emotionen. Doch was ist die Psychologie der Liebe? Darüber sprach die Lebenslinie mit Dr. Christoph Lehner, Chefarzt der Psychosomatischen Fachabteilung an der Steigerwaldklinik in Burgebrach. Seine Antwort führt in die Tiefe menschlicher Beziehungen: „Da gibt es zum einen die Freundschaft, bei der es um Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit geht – beide Aspekte gehören auch zur partnerschaftlichen Liebe. Es gibt jedoch noch eine weitere Komponente: das Lustvoll-Leidenschaftliche. Und ein Feuer.“ Liebe sei für ihn also ein Zusammenspiel aus Vertrauen, Treue und einem Funken, der die Verbindung lebendig hält. Die höchste Form der Liebe beschreibt er als ein Geschenk, das „bedingungslos“ ist. Doch warum suchen wir überhaupt nach einer „verlorenen Hälfte“? Dr. Lehner verknüpft diese Sehnsucht mit dem menschlichen Gefühl der Unvollkommenheit: „In anderen finden sich Eigenschaften, die man selbst nicht hat.“ Wie bei Platons Kugelmenschen-Mythos sei der Wunsch nach Ergänzung ein Antrieb, Beziehungen zu gestalten. Liebe sei also nicht nur ein Gefühl, sondern ein Katalysator für persönliches Wachstum. „Liebe heißt immer auch, dass ich ein gutes Verhältnis von Grenzen und Freiräumen habe.“ Liebe sei wie eine schützende Hand, die loslässt, uns erlaubt, eigene Wege zu gehen. Doch wer von seinem Partner erwartet, „repariert“ zu werden, gerate in eine Abhängigkeit, die selten glücklich endet. Stets Eitelsonnenschein ist aber auch nicht erstrebenswert. Konflikte sind auch in der Liebe unvermeidlich und sogar notwendig. Streit und Reibung schaffen Raum für Reflexion und Weiterentwicklung. Eine Liebe ohne Spannungen wäre statisch, während Reibung neue Impulse bringt – so wie Ravels „Boléro“ in „Eros“, der im Crescendo zu einer ekstatischen Wucht anwächst. Für Dr. Lehner liegt das Geheimnis stabiler Partnerschaften in der Balance: „Stellen Sie sich zwei Kreise vor. Das Idealbild wäre, dass diese eine gemeinsame Schnittstelle haben, aber beide noch genug Raum für sich übrig haben.“ Augenhöhe sei ebenfalls entscheidend: keine starren Machtspiele, sondern Kommunikation und gegenseitige Unterstützung. So wie im Ballett die Bewegungen von Nähe und Distanz ein Spiel aus Spannung und Harmonie ergeben, lebe auch Liebe von dieser Dynamik. Das Mainfranken Theater zeigt in Tanz und Musik, was Dr. Lehner beschreibt: Liebe ist ein lebendiger Prozess. Sie fordert uns heraus, sie lässt uns wachsen, sie verlangt nach Mut, Nähe und Eigenständigkeit.  

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