Fußgesund und wundlos glücklich

Footloose: Dr. Christina Vierheilig, Dr. Volker Ettl und Dr. Stephan Forster über Fußgesundheit

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„Unbeschwert“ durch Leben gehen. Das wünschen wir uns alle! Das Englische hat einen Begriff dafür: Footloose! Wie weit die Füße tragen, hat in erster Linie mit unserer Fußgesundheit zu tun. Und über die hat sich Lebenslinie mit einer Fachärztin und zwei Fachärzten für Orthopädie und Unfallchirurgie, alle mit dem Zertifikat „Fußchirurgie“, unterhalten. Die geballte Kompetenz des Fachklinikums Mainschleife in Volkach, Dr. Christina Vierheilig, Dr. Volker Ettl, und Dr. Stephan Forster, kümmern sich Tag aus, Tag ein um nichts anderes als um Füße. 

26 Knochen, 33 Gelenke, über 100 Bänder, 20 Muskeln mit den dazugehörigen Sehnen sowie eine Vielzahl von Nerven sorgen dafür, dass wir normalerweise mit beiden Beinen fest im Leben stehen. „Der Aufbau des Fußes und die Tatsache, dass er tagtäglich den größten Teil unseres Köpergewichts tragen muss, bietet aber auch jede Menge Angriffsfläche für Verletzungen“, weiß der Ärztliche Direktor des Fachklinikums an der Mainschleife, Dr. Volker Ettl. Zu den häufigsten Krankheitsbildern, die sie in Volkach sehen, würden die Ballenzehe (Hallux Valgus), die Krallenzehe und der Fersensporn zählen. Ebenso andere degenerative Veränderungen, etwa Arthrosen oder auch Bänderverletzungen und Brüche, resultierend aus Unfällen beim Sport, so der Experte mit mehr als 8.000 Eingriffen an Fuß- und Sprunggelenk. Wobei Sportverletzungen mit etwa 20 Prozent und degenerative Krankheitsbilder mit rund 80 Prozent vertreten seien, gewichtet der Chefarzt die Fallzahlen. 

Achillessehnenriss & Fersensporn

„Es hört sich an wie ein Peitschenschlag“, berichtet Dr. Ettl vom Reißen der Achillessehne. Dabei handle es sich um eine typische Sportverletzung, die meist beim Antritt nach längerer Pause oder bei nicht aufgewärmtem Einstieg ins Sporteln auftritt. Hier sei dann bei der ärztlichen Untersuchung eine tastbare Delle in der Achillessehne typisch. Ebenso wie die Tatsache, dass bei manuellem Druck auf die Wade der Fuß sich nicht mehr bewege. „Bei der Ultraschalluntersuchung ist der Riss dann in der Regel gut sichtbar und mit einem zusätzlichen Röntgenbild, seitlich vom Fuß, schließt man einen möglichen Bruch am Fersenbein aus“, so Dr. Ettl über die zu fahrende Diagnostik. Rund 40 Prozent der Achillessehnenrisse könnten konservativ behandelt werden, bei 60 Prozent bedürfe es einer Operation. In beiden Fällen dauert die Rekonvaleszenz-Phase etwa drei Monate. In den ersten sechs Wochen ist zudem das Tragen eines Spezialschuhs erforderlich. Ebenfalls die „Schuldige“ ist die Achillessehne beim Fersensporn. „Hier ist diese jedoch verkürzt und verursacht dadurch die Entzündung der Plantar-Faszie im Ansatzbereich.“ Das wiederum mache sich durch stechende bohrende Schmerzen in der Ferse beim Auftreten bemerkbar, so Ettl. Der Fersensporn sei zu 98 Prozent konservativ ausheilbar mit spezieller Physiotherapie, dem sogenannten exzentrischen Training für betroffene Muskelsehnengruppen (eine Anleitung dazu ist unter www.fachklinikum-mainschleife.de downloadbar). Neben konsequenter Dehnung seien auch Einlagen, gepulster Ultraschall (Stoßwellentherapie) oder klassische Kortison-Injektionen eine Therapieoption, erläutert der Spezialist für Fußerkrankungen das Portfolio. 90 Prozent der erwachsenen Bevölkerung hat Fußschmerzen. Stechen, Brennen, Kribbeln oder Anlaufschmerzen können auf akutes Geschehen, aber auch auf Systemerkrankungen hinweisen, gerade bei älteren Patientinnen und Patienten. Welche Krankheiten mit Fußschmerzen vergesellschaftet sein können, und wie man der Diagnose auf die Spur kommt, auch das wollten wir von Volker Ettl wissen. Was bei älteren, multimorbiden Patientinnen und Patienten helfe, sei langjährige Erfahrung und ein Faible für „Detektivarbeit“. „Wenn klinische und Apparate-technische Diagnoseverfahren ­orthopädische Ursachen ausgeschlossen haben, dann seien internistische oder neurologische Probleme wie Diabetes, Arterielle Verschlusskrankheit oder etwa Polyneuropathie oftmals der Auslöser der Fußschmerzen.

Wundlos glücklich

Und genau solche Systemerkrankungen rufen einen anderen Experten auf den Plan, den Unfallchirurgen mit 24-jähriger Notarzterfahrung und zertifizierten Wundexperten, Dr. Stephan Forster. Aktuell leiden rund drei Millionen Menschen in Deutschland an einer chronischen Wunde. Bei rund 200.000 Operierten im Jahr kommt es zu Wundheilungsstörungen, sprich zu einer postoperativen Wundinfektion. Es finden mehr als 60.000 Amputationen im Jahr in Deutschland statt, die meist aus infizierten Wunden am Fuß resultieren, hinzukommen 30- bis 60.000 Bissverletzungen. Der Bedarf an Wundversorgung ist also groß, das Angebot an Wund-Expertinnen und Experten gering. Es gibt insgesamt sieben Wundzentren in Bayern, Würzburg hat keines. Warum gibt es so viele chronische Wunden und warum fällt die Wundversorgung so hinten runter? Der erfahrene Fuß- und Wundexperte führt multifaktorielle Gründe an: „Der Fuß, eingeengt im Schuh, ist tagtäglich großen Belastungen ausgesetzt, indem er unser Körpergewicht fortbewegt. Als peripherstes Körperteil erreicht ihn der Blutfluss als Letztes und im Gegensatz zum Arm, der zum Abschwellen, etwa nach einem Eingriff, auch länger einmal über ­Herzhöhe ­gelagert werden kann, gestaltet sich das beim Fuß schwierig“. Hinzu­komme eine große Anzahl an Patientinnen und Patienten einer immer älter werdenden Gesellschaft, mit Diabetes, peripheren arterieller Verschlusskrankheit oder chronischer venöser Insuffizienz als Risikofaktoren für Wunden am Fuß. „Die Grunderkrankung oder die Tatsache, dass die Durchblutung nicht ordnungsgemäß funktioniert, führen oft zu Wundheilungsstörungen und dann in Folge zu chronischen Wunden. Das könnte bei entsprechender Wundversorgung verhindert werden“, so Dr. Forster. Doch ausgebildete Wundexpertinnen und -experten fehlen. Womöglich aufgrund der Tatsache, dass eine Wundbehandlung mit 8,12 Euro (ohne Verbandmaterialien, die zusätzlich noch erstattet werden) entlohnt wird. Wenn genäht wird, seien es 15,30 Euro, fügt Dr. Stephan Forster hinzu. Die Kosten für schlecht versorgte Wunden hingegen belaufen sich in Deutschland pro Jahr auf rund acht Milliarden Euro. Finde den Fehler! „Eine Wundbehandlung sollte in einem Zeitraum von vier bis neun Wochen abgeschlossen sein“, weiß Stephan Forster. „Ist die Wunde dann nicht zu, hat es einen Grund, den es herauszufinden gilt“, so der Chirurg mit der Erfahrung aus über 7.000 Eingriffen. Hier sei oftmals eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Hausärztinnen und -ärzten, Internistinnen und Internisten sowie Gefäßchirurginnen und -chirurgen gefragt. Bei guter medikamentöser Einstellung der Grunderkrankung ginge dann auch die Wunde zu. „Voraussetzung dafür ist allerdings eine engmaschige Wundversorgung (bei großen infizierten Wunden alle zwei bis drei Tage) von einer dazu extra ausgebildeten Person, die auch immer die gleiche sein sollte“, rät der akribische Arzt. Ein ständiger Wechsel in der Wundversorgung durch immer neue Kolleginnen und Kollegen könne auch zu einer Verzögerung der Wundheilung beitragen, da jeder Arzt/jede Ärztin einen anderen Hintergrund und andere Vorgehensweisen habe. Moderne Wundversorgung setze auf feuchtes Milieu, das besser ist für die Bildung neuer Blutgefäße, das Zellwachstum und den ungehinderten Blutfluss, so Forster. Das alles sei für die Wundheilung und ein wundlos glückliches Dasein maßgeblich. Die Materialien moderner Wundversorgung seien neben Pflastern und Verbänden etwa Alginat-Kompressen, Hydrogele, silberhaltige Wundauflagen, offenporige Schaumstoffe oder Wunddrainage-Therapie mittels Vakuum (VAC-Therapie). „Für die Desinfektion der Wunde werden heute hochpotente Spüllösungen verwendet, die Bakterien und Pilze auch in der Tiefe abtöten können“, erklärt Dr. Forster. All das richtig angewendet, trage zu einer schnelleren Wundheilung bei.

Minimalinvasive Fußchirurgie

Selten bis gar nicht kommt es bei kleinen Schnitten zu Wundheilungsstörungen. Und das ist das Sujet von Dr. Christina Vierheilig: die minimalinvasive Fußchirurgie. Vom Ergebnis her mache diese gegenüber konventionellen, offenen Eingriffen keinen Unterschied, so die Chirurgin. Im Wesentlichen seien auch die Narkose, die Dauer der Nachsorge und der Heilungsprozess gleich. „Jedoch die Verweildauer im Krankenhaus ist in der Regel kürzer, es kommt weniger Metall in den Fuß etwa bei der Kleinzehenchirurgie und das Risiko, dass sich OP-Wunden entzünden, ist geringer“, so Dr. Vierheilig. Krankheitsbilder, die sich besonders gut für die minimalinvasive Technik eigneten, sind Kleinzehen-Korrekturen, der Hohl- und Plattfuß, aber auch der Hallux Valgus. Bis die Korrektur des Ballenzehs allerdings schneller minimalinvasiv gehe, so Christina Vierheilig, ist es eine lange Lernkurve für die Operateurin oder den Operateur. Minimalinvasiv operieren solle man zudem nur, wenn man jederzeit auch offen versiert weiterarbeiten kann. Denn wenn es zu Komplikationen komme, muss man von jetzt auf gleich eröffnen und die Operation konventionell durchführen, weiß Christina Vierheilig aus Erfahrung. Minimalinvasive OPs sind immer unter Röntgenkontrolle. Nach der operativen Korrektur etwa der Kleinzehe erfolge eine bestimmte Verbandstechnik mit Pflasterstreifen, der so genannte Zügelverband, den Dr. Vierheilig noch im OP anlegt. Dieser verbleibt zwei Wochen zur Stabilisierung an Ort und Stelle, bis sie ihn in der Sprechstunde wieder wechselt. Je nach Heilungsfortschritt steigt sie dann auf Kinesio-Tapes um, bis auch diese nicht mehr erforderlich sind. Auch wenn sie überzeugt sei, dass man nach minimalinvasiven Eingriffen in der Regel schnell wieder fit ist, sehe sie die fortschreitende Ambulantisierung (ambulant statt stationär) kritisch. „Trotz ungünstiger Nachsorgestrukturen (überlastete ambulante Dienste, zu wenig Kurzzeitpflege- und Reha-Plätze) wird ambulantisiert. Sinnvoller wäre es, erst die Nachsorge-Strukturen zu verbessern und dann ein Gesetz zur Ambulantisierung zu verabschieden. Das wäre zum Wohl der Patientinnen und Patienten“, so die engagierte Ärztin. Apropos Ärztin … Dr. Vierheilig ist eine der wenigen Frauen in der Chirurgie, ein Fachgebiet, das auch 2024 immer noch Männerdomäne ist. 74 Prozent der Medizinstudierenden sind weiblich, nur rund 19 Prozent der Frauen kommen in Führungspositionen an. Ist „Frausein“ ein Karriere-Nachteil, wollten wir von der Ärztin und Mutter Christina Vierheilig wissen. „Ich habe Glück mit meinem Chef und meinen Kollegen, ich werde gefördert und kann meine Arbeit, die ich liebe, auch als Frau und Mutter gut machen! In vielen anderen Kliniken ist das nicht so!“ In der Medizin seien gerade bei älteren Chefs noch konventionelle Rollenbilder im Kopf: „Die hat eine Gebärmutter, die kann schwanger werden, dann fällt sie ganz aus oder will in Teilzeit gehen“, umreißt Dr. Vierheilig die immer noch vorherrschende Denke vieler älterer männlicher Chefs, die verhindern, dass Frauen in der Medizin Fuß fassen. Dabei sei es durchaus möglich, sich die Care-Arbeit zu teilen, wie sie und ihr Mann das tun, und dann klappt es auch mit der Karriere der Frau. Aber es sei nicht nur die Arbeitswelt, die noch in veralteten Mustern verhaftet sei, auch die Gesellschaft macht es gut ausgebildeten Frauen, die auch Mutter sein wollen, noch schwer. „Im Kindergarten wurde ich neulich gefragt, wer sich denn um mein Kind kümmert, wenn ich bis abends im OP stehe?“ Auch wenn Dr. Christina Vierheilig in solchen Situationen manchmal noch schlucken muss, weiß sie, dass der Wandel im Gange ist, und dass sie und viele junge, gut ausgebildete Medizinerinnen nicht mehr aufzuhalten sind. Und das ist auch gut so!

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