„Ellenbogen-Gesellschaft“

Traumatologe Professor Rainer Meffert über Verletzungen an Elle, Speiche & Co

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Weder eine Umarmung noch das Tragen eines Babys auf dem Arm ist mit gebrochenem Ellenbogen möglich. Halten, etwas heben oder heranziehen … ein komplexes Zusammenspiel aus Beuge- und Streckbewegungen befähigt unsere Arme, diese Bewegungsabläufe durchzuführen. Das Ellenbogengelenk spielt dabei eine zentrale Rolle. Am Ellbogen treffen sich der Oberarmknochen sowie Elle und Speiche des Unterarms. Wo diese zusammentreffen befinden sich noch das Oberarmköpfchen, die Oberarmrolle sowie die Gelenkpfanne und die Gelenkgrube. Das Ellbogengelenk kann man sich wie ein „Scharnier“ vorstellen, das den Unterarm streckt und beugt. Wenn hier Verletzungen auftreten, wird es allerdings kompliziert. Daher haben wir Prof. Dr. Rainer Meffert, Direktor der Klinik und Poliklinik für Unfall-, Hand-, Plastische und Wiederherstellungschirurgie der Uniklinik Würzburg, zurategezogen. Ein ausgewiesener Experte, der sich um alles kümmert, das mit dem Ellenbogen „vergesellschaftet“ ist …

Lebenslinie (LL): Ellenbogenverletzungen treten meist durch Stürze auf, da man sich beim Fallen intuitiv mit den Händen und Armen abzufangen versucht. Was sind die häufigsten Verletzungen, die dabei entstehen?
Prof. Rainer Meffert (RM): „Der direkte Aufprall auf den Ellenbogen, der nicht selten mit Hautverletzungen auftritt, ist häufig. Es gibt aber auch indirekte Mechanismen beim Sturz auf die ausgestreckte Hand, bei denen Kräfte, fortgeleitet auf das Ellenbogengelenk, zu sehr schweren Verrenkungen führen können. Dabei sind oft die Gelenkkapsel und deren Bänder vom Knochen abgerissen. Das kann man mittlerweile ganz gut mit sogenannten Knochenankern metallfrei stabilisieren. Wir operieren quasi täglich Patient:innen mit mehr oder weniger komplexen Ellenbogenverletzungen. Trotz unserer umfangreichen Erfahrung gelingt es nicht immer, alles wieder so herzustellen, wie es vorher mal war. Teils setzen wir etwa am Speichenköpfchen Teilprothesen ein, die auch längerfristig eine gute Funktion ermöglichen. Vollprothesen setzen wir nach Verletzungen zur Wiederherstellung der Bewegung nur dann ein, wenn alle anderen Methoden ausgeschöpft sind. Diese Prothesen sind für den älteren Menschen akzeptabel, bei jüngeren Patient:innen sollte man nach Alternativen suchen, da der Arm nach Ellenbogen-Totalendoprothesen nur noch mit reduzierter Kraft einsetzbar ist.“

LL: Wie sieht die Diagnostik bei einer Ellenbogen-Verletzung aus? Und wie wichtig ist diese, damit keine anhaltende Instabilität des Ellenbogens oder Einschränkungen bei Alltagsverrichtungen bleibt?
RM: „Da sprechen Sie einen sehr interessanten Aspekt an. Abgesehen von sehr schweren offenen Verletzungen, bei denen lediglich die Funktion der Nerven und Gefäße kontrollierbar ist, da das Gelenk nicht mehr bewegt werden kann, beginnt die Untersuchung immer mit einer Inspektion (Sichtung von Schwellungen, Abschürfungen, Einrissen), Überprüfung der Bewegungseinschränkung und das Drücken typischer Schmerz-Triggerpunkte. Auch die Beurteilung einer Instabilität ist nicht ganz einfach. Hier entstehen Diagnosen, indem Röntgenapparate oder Computertomografie eingesetzt werden.“

LL: Treten Verletzungen oder Erkrankungen am Ellenbogen auf, sind diese meist komplexer Natur. Wie sieht die Therapie an konkreten Beispielen von Tennis-oder Golfer-Ellenbogen oder Kubitaltunnel-Syndrom aus?
RM: „Da haben Sie vollkommen recht! Das Ellenbogengelenk ist komplex und damit kompliziert zu verstehen. Das Gelenk wird von drei Hauptknochen – Humerus, Radius und Ulna – zu einem Kombinationsgelenk zusammengefügt, mit dem gestreckt und gebeugt wird, aber auch sehr wichtige Umwendbewegungen um circa 180 Grad möglich werden. Wegen der Dreidimensionalität des Ellenbogengelenks ist auch eine dreidimensionale Diagnostik etwa in Form einer Computertomografie sehr hilfreich. Sie sprechen hier chronische Schäden und Folgezustände von Überlastungen an. Beim Tennis- oder Golfer-Ellenbogen handelt es sich um eine Überbeanspruchung entweder der Sehnenansätze des Unterarms und der Fingerstreckmuskeln (Tennis-Ellenbogen) oder der seitigen Ansatzpunkte der Unterarmsehne (Golfer-Ellenbogen). Bei beiden Diagnosen sollte man zunächst durch Veränderung der Zug- und Druckverteilung und Vermeidung von Überlastungsschäden eine konservative Behandlung starten. In den meisten Fällen reicht die aus, um die Schmerzen im Sehnen-Ansatzbereich zu lindern. Ein davon unabhängiges anderes Erkrankungsfeld betrifft das Nervenkompressions-Syndrom. Das gibt es nicht nur im Bereich des Handgelenks (Karpaltunnel-Syndrom) sondern auch des Ellenbogens (Kubitaltunnel-Syndrom). Diese Diagnose kann zu Kribbelparästhesien des Kleinfingers und der Hälfte des Ringfingers führen, die durch Beugen und Verharren des Ellenbogens in der Position, etwa beim Schlafen, provozierbar sind. Wenn hier Lagerungsschienen nicht ausreichen, kann eine Neurolyse (Druckentlastung des Nerven) dauerhaft Erleichterung bringen.“

LL: Wann muss der Ellenbogen unters Messer, wann kann man konservativ therapieren?
RM: „Knochenbrüche des Ellenbogens werden in der Regel operativ behandelt, um eine frühfunktionelle Nachbehandlung mit Freigabe der Gelenkbeweglichkeit zu erzielen. Auch komplexe Gelenksluxationen (Auskugelungen des Gelenkes) mit Ausrissen der innen- und außenseitigen Bänder, stellt für uns eine klare OP-Empfehlung dar. Hingegen können Erscheinungsbilder wie zum Beispiel die einfache Radiuskopffraktur oder Gelenksluxationen mit nur Teil-Zerreißung des Bandapparates gut konservativ behandelt werden. Die Operationsindikation ist für mich immer eine Abwägung zwischen Risiken der Operation und Nutzen im Vergleich zum nicht operativen Vorgehen. Da muss deutlich auf die Bedürfnisse der Patient:innen eingegangen werden. Wenn eine Arthrose des Ellbogengelenks so schmerzhaft ist, dass sie Verrichtungen des täglichen Lebens nicht mehr zulässt, sollte über operative Alternativen nachgedacht werden. Ebenso sieht es bei der Gelenksinstabilität aus. Wenn etwa bei Wurfsportarten eine Überlastung und Auslockerung des Bandapparates vorliegt, kann diese für Sportler:innen ‚unerträglich‘ sein. Hier kann eine stabilisierende Bandplastik Abhilfe schaffen.“

LL: Wie viele Ellenbogen operieren Sie im Jahr?
RM: „Oh, da müsste ich jetzt erst mal die OP-Bücher in unserem digitalen Archiv durchblättern, um Ihnen diese Frage exakt zu beantworten. Gefühlt operieren wir im Sommer am Tag mehrere Patient:innen mit Verletzungen des Ellenbogens. In unserer Schulter- und Ellenbogensprechstunde sehen wir jede Woche circa 30 bis 40 Patient:innen. Geschätzt sind es auf jeden Fall über einhundert Ellenbogen-OPs im Jahr. Das mag sich wenig anhören, qualitativ sind dies oft sehr schwierige mehrstündige Eingriffe, auf die man sich gut vorbereiten muss.“

LL: Warum haben Sie sich auf dieses Fachgebiet spezialisiert?
RM: „Sie stellen interessante Fragen! Um ehrlich zu sein: In die Ellenbogenchirurgie bin ich irgendwie reingerutscht. Ich bezeichne mich selbst als reinrassigen Traumatologen mit einer sechsjährigen allgemeinchirurgischen Ausbildung, einer dreijährigen Spezialisierung in der Hand- und Mikrochirurgie sowie einer dreijährigen Spezialisierung in der Traumatologie. Als ich vor 15 Jahren am Klinikum in Würzburg angefangen habe, zählte die Ellenbogenchirurgie eher zu meinen „Das mache ich auch“-Arbeitsbereichen. Als Chef einer Klinik stellt man sich aber gerne oder notgedrungen den besonders schweren Verletzungsformen, um diesen Bereich weiterzuentwickeln. Zusammen mit einem international aufgestellten wissenschaftlichen und klinischen Team war es mir möglich, Spezial-Implantate für die distale Humerusfraktur (Oberarmbruch) sowie für Olekranonfraktur (Bruch der Elle) zu entwickeln. Auf diesem Wege konnten wir in den letzten Jahren die Qualität der Versorgung von Ellenbogenverletzungen immer weiter optimieren.“

Das Interview mit Professor Rainer Meffert, Direktor der Klinik und Poliklinik für Unfall-, Hand-, Plastische und Wiederherstellungschirurgie der Uniklinik Würzburg, führte Lebenslinie-Chefredakteurin Susanna Khoury.

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