Die Waisen der Medizin

Am 28. Februar 2021 ist der „Tag der seltenen Erkrankungen“

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Die meisten müssen sich die Hacken ablaufen, bis sie jemanden finden, der ihnen sagt, was mit ihnen los ist: Menschen mit einer seltenen Erkrankung erhalten oft erst nach langer Zeit eine Diagnose. „Viele Leute, die bei mir anrufen, weinen, weil sie jahrzehntelang nicht ernst genommen wurden“, sagt dazu Gerald Brandt. Der 50-Jährige, der Hypophosphatasie (HPP) hat, engagiert sich in Würzburg dafür, dass seltene Erkrankungen besser diagnostiziert und therapiert werden.

Die Geduld der Betroffenen wird oft auf eine harte Probe gestellt. Viele klappern laut Brandt einen Facharzt nach dem anderen ab. Ohne Resultat: „Zum Schluss werden sie zum Psychologen geschickt.“ Das kann nicht zuletzt Menschen mit Hypophosphatasie passieren. Ursache dieser seltenen Erkrankung ist ein Mangel des Enzyms alkalische Phosphatase. Dass es dadurch zu einer Störung im Knochenstoffwechsel kommt, ist seit 1948 bekannt. „Doch die Krankheit betrifft nicht nur die Knochen“, so Brandt. Die Patienten sind auch rasch erschöpft und ständig müde.

Einmal im Jahr können sich Interessierte anhand von Vorträgen informieren, welche Krankheiten als „selten“ eingestuft werden, was getan wird, um den Betroffenen zu helfen, und wo noch Handlungsbedarf besteht. 2021 wird der „Tag der seltenen Erkrankungen“ am 28. Februar begangen. Was inhaltlich angeboten wird, überlegt sich der Würzburger Arbeitskreis für Seltene Erkrankungen (WAKSE), dessen Vorsitzender und Sprecher Gerald Brandt ist, zusammen mit dem Zentrum für Seltene Erkrankungen (ZESE) der Würzburger Uniklinik.

In der Vergangenheit wurde anlässlich dieses Tags unter anderem auf den hohen Forschungsbedarf aufmerksam gemacht. Forschungen hängen letztlich immer von Finanzierungsmöglichkeiten ab. Finanziert wird vor allem das, was sich „rentiert“. Auch das sei für seltene Erkrankungen charakteristisch, sagt der engagierte Kranke, der vor 13 Jahren WAKSE gegründet hat: „Oft lohnt sich die immense Entwicklungsarbeit für Medikamente kaum, weil es nur wenige Patienten gibt.“ Gerade deshalb seien universitäre Zentren für seltene Erkrankungen so wichtig. „Durch sie werden klinische Studien erleichtert“, so Zentrumssprecher und stellvertretender Klinikdirektor des Uniklinikums, Professor Helge Hebestreit.

Es gebe laut dem Pädiatrieprofessor jetzt auch mehr Möglichkeiten als früher, bestimmte seltene Erkrankungen zu behandeln. Gerald Brandt zum Beispiel profitiert davon, dass inzwischen ein Medikament für HPP-Patienten auf dem Markt ist. Außerdem gebe es Professor Hebestreit zufolge aktuelle Medikamentenentwicklungen bei Mukoviszidose. Wie schwer es ist, Menschen mit seltenen Erkrankungen therapeutisch zu helfen, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Laut Bundesgesundheitsministerium gibt es mehr als 6.000 Krankheitsbilder¹, die zu den seltenen Erkrankungen zählen. Schätzungsweise vier Millionen Menschen in Deutschland sind betroffen. Seltene Erkrankungen zählen immer noch zu den „Waisen der Medizin“, da die meisten von ihnen kaum erforscht sind und es daher auch kaum Therapieansätze oder Medikamente gibt.

Bei Gerald Brandt trat durch das neue Medikament eine Besserung ein. Der Gründer des Selbsthilfeverbandes „Hypophosphatasie Deutschland“ erhält die sehr teure Arznei, weil er
zu den besonders schwer betroffenen HPP-Patienten zählt: „Deshalb wurde die Krankheit bei mir schon wenige Monate nach meiner Geburt erkannt.“ Vor 20 Jahren verschlimmerte sich sein Leiden. Der Germanist bangte um sein Leben. 2012 erhielt er dann die neu entwickelte Medizin. Ein Glücksfall!


Quellen: ¹www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/ gesundheitsgefahren/seltene-erkrankungen.html

Zentrum für Seltene Erkrankungen/Referenzzentrum Nordbayern (ZESE) am UKW,
Telefon 0931.201-29029,
E-Mail: zese@ukw.de, www.ukw.de und
Selbsthilfeverband Hypophosphatasie Deutschland e. V., www.hpp-ev.de

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