Wunden gehören zum „Tagesgeschäft“ eines Chirurgen. „Ich wollte hinter den Vorhang schauen, der Wunde auf den Grund gehen!“, betont der hartnäckige und gleichzeitig emphatische Mediziner, Dr. Stephan Forster. Berührungsängste mit Blut, Wundwasser oder Eiter sowie olfaktorischen Einflüssen dürfe man nicht haben, sonst sei man bei der Wundversorgung fehl am Platz.
30 Wunden sieht der Unfallchirurg im Durchschnitt am Tag in der Missionsärztlichen Klinik in Würzburg (Missio). Das sind 7800 Wunden im Jahr! „Es gibt unzählige unterschiedlichen Wunden und fast genauso viele Möglichkeiten, diese zu behandeln“. Früher sei er manchmal am Verzweifeln gewesen, wenn eine Wunde nicht zugehen wollte.
Da er es aber nicht gut sein lassen kann, wenn es noch nicht gut ist für seinen Patienten, hat der Chirurg Stephan Forster sich entschlossen, als einer der Ersten im Missio die Zusatzausbildung „Wundmanager“ zu belegen.
Anders als beim Regenwurm komme es beim Menschen bei einer Gewebsdurchtrennung von Haut oder Organen in der Regel zu keiner vollständigen Regeneration. Es bleiben immer Narben zurück, im wahrsten Sinne des Wortes! Zudem gehe durch eine Wunde immer die Schutzfunktion der Haut verloren, was einer Infektion Tür und Tor öffne.
Die allseits gefürchteten Keime und Bakterien seien in der Regel nicht die Ursache einer Wunde, jedoch deren Nutznießer, betonte auch der stellvertretener Vorsitzender der Initiative Chronische Wunden (ICW), Dr. Andreas Schwarzkopf aus Bad Bocklet.
„Daher ist das Ziel erfolgreicher Wundversorgung, möglichst schnell, intensiv und nachhaltig zu helfen, um einer Infektion vorzubeugen“, so Notarzt Dr. Forster. Er lege im übertragenen Sinn und bisweilen auch in echt den Finger in die Wunde (nach vorheriger Händedesinfektion und mit sterilem Handschuh, versteht sich).
Der Erfolg gibt ihm Recht. Mehr als 95 Prozent der Wunden, die ihm unter die Finger kommen, schließen sich früher oder später. Bei chronischen Wunden müsse man Geduld mitbringen: „Das dauert oft Monate, manchmal sogar Jahre!“
Um am „wunden Punkt“ zu rühren, sei bei der Inaugenscheinnahme einer Wunde eine gute und vollständige Anamnese das A und O, erklärt Forster seine Vorgehensweise. Dazu gehören nicht nur die Erfassung von Laborwerten, sondern auch die richtige medikamentöse Einstellung von Diabetes beispielsweise oder das Durchleuchten der Ernährungsgewohnheiten eines Patienten.
„Was kommt da drauf?“, sei eben nicht die wichtigste Frage nach dem ersten Blick auf eine Wunde, bestätigt auch die Vorsitzende der ICWs, Veronika Gerber aus Düsseldorf. Rund vier Millionen Menschen im Jahr leiden in Deutschland an chronischen Wunden. Tendenz steigend! Daher sollte man kein Salz in eine offene Wunde streuen, indem man sie auf die leichte Schulter nimmt.
Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man … Um auf Nummer sicher zugehen, ist es sinnvoll ihr einen Fachmann an die Seite zu stellen…!
Kleinere Schürfwunden oder den Schnitt in den Finger mit dem an sich sauberen Küchenmesser könne man in der Regel selbst versorgen, so der Oberarzt in der Unfallchirurgie im Missio. Bei klaffenden, stark blutenden Wunden, insbesondere am Kopf, bei Verbrennungen, Verätzungen, Verstrahlungen, Bisswunden, bei Wunden mit Gegenständen in der Wunde – sprich bei allen anderen Wunden – solle man unverzüglich den Arzt aufsuchen!
Es gibt für jede Wunde ein „Pflaster“, man muss es nur finden. Die meisten Hausapotheken halten drei bis vier Pflastergrößen bereit. Moderne Wundversorgung wartet mit einem ganzen Portfolio auf: von Alginat-Kompressen und Hydrogelen über silberhaltige Wundauflagen und offenporigen Schaumstoffe bis hin zu kontinuierlicher Wunddrainage-Therapie mittels Vakuum.
„Jedes Material kann bei der entsprechenden Disposition der Wunde zielführend sein“, erklärt Wundexperte Dr. Forster. Es komme nur darauf an, bei wem (Gesamtanamnese des Patienten) es wann (in welcher Phase der Wundheilung) und wo (Körperstelle) am besten zur Heilung führe. Silberhaltige Wundauflagen seien beispielsweise bei einem akuten Infekt gut, über einen längeren Zeitraum, als Antiseptikum eingesetzt, eher kontraproduktiv.
Mit der Vakuumtherapie und offenporigen Schaumstoffen kann man über Tage eine Wunde verschließen und die Materialien und die Natur machen lassen (Voraussetzung ist, dass der Wundgrund sauber ist). Die seien bei manchen Wunden besonders in der Granulationsphase, wo sich neues Gewebe bilde, durchaus sinnvoll.
Aber nicht nur auf neuen Pfaden kommt man bei moderner Wundversorgung ans Ziel. Auch ganz alte Praktiken wie die Madentherapie haben ihren Platz und erfahren heute wieder eine Renaissance. Nicht zuletzt weil die kleinen „Wunddetektoren“ zielsicher nur nekrotisches Gewebe eliminieren und um gesundes einen Bogen machen.
Von deren Einsatz konnte sich Dr. Forster bei seinem früheren Chef in Wertheim, einem Gefäßchirurgen, überzeugen. Und hat sie auch selbst bei Patienten erfolgreich angewendet. Was anders ist als früher: Modernes Wundmanagement setzt nicht auf trockene, sondern fast ausschließlich auf feuchte Wundversorgung! „Zellen können schwimmen, aber nicht fliegen“, daher heilten Wunden an der Luft auch nicht so gut, meint Dr. Forster schmunzelnd.
Das feuchte Milieu sei besser für das Zellwachstum, die Bildung neuer Blutgefäße und die Fibrinolyse (körpereigene Auflösung eines Blutgerinnsels durch das Enzym Plasmin), so die neuere Forschung. Wie lange eine Wundheilung dauert, ist von Patient zu Patient verschieden.
Es gibt zahlreiche Faktoren, die Wundheilungsstörungen vermeiden helfen und die Genesung beschleunigen können. Beim „diabetischen Fußsyndrom“ beispielsweise sind es auch durchblutungsfördernde Maßnahmen, so das Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Fußchirurgie, Dr. Stephan Forster.
In manchen Fällen ist es vor allem Wundruhe, die den Fortgang positiv beeinflusst. Nicht zu rauchen (Engstellung der Gefäße) ist ebenfalls förderlich für die Wundheilung. Zudem sollte die Wunde vor Stößen und ruckartigen Bewegungen geschützt werden, vor allem in der Granulationsphase.
Druck auf die Wunde hingegen ist gut? „Ja, weil er beispielsweise einem Wuchern der Haut über die Wunde hinweg vorbeugt, oder auch wie bei der Vakuum-Therapie, wo bewusst kontrollierter Unterdruck erzeugt wird und dabei Flüssigkeit abläuft“, so Forster.
40.000 Amputationen als Folge des diabetischen Fuß-Syndroms werden jährlich in Deutschland vorgenommen, so die Deutsche Diabetes Gesellschaft. Experten gehen davon aus, dass ein großer Teil davon vermeidbar wäre.
Die Wunden, die wir uns selber schlagen durch Ernährung, Lebenswandel und Unachtsamkeit, werden uns in einer immer älter werdenden Gesellschaft noch lange Zeit beschäftigen. Wundmanagement ebenso.
Leider wird das in vielen Kliniken „nebenbei mitgemacht“, steht aber nicht gemäß seiner Bedeutung a priori auf der Agenda, was zu folgeschweren Konsequenzen vor allem für betroffene Patienten führen kann!
Phasen der Wundheilung
Ruhephase
Latenzphase, direkt nach der Verletzung, in der keine makro- oder mikroskopischen Reaktionen sichtbarsind.
Reinigungsphase
Die Wunde füllt sich mit Blut, Lymphe und Gewebs üssigkeit. Die Blutstillung und –gerinnung setzt ein und dann beginnt die Resorption, bei der abgestorbenes Gewebe und Bakterien im Idealfall von Immunabwehrzellen abgebaut und beseitigt werden.
Granulationsphase
Hier bildet sich vom Wundgrund her neues Gewebe, neue Gefäße versorgen die Wunde mit Blut, Sauerstoff und Nährstoffen. Ohne diese Logistik wäre eine Wundheilung unmöglich. In dieser Phase verkleinert sich der Durchmesser der Wunde täglich um ein bis zwei Millimeter.
Regenerationsphase
Die Wunde zieht sich mehr und mehr zusammen, ein immer dichteres Netz aus Kollagenfasern
entsteht. Von den Wundrändern her kommt es ebenfalls zur Hautneubildung. Mit der Überhäutung der Wunde ist die Wundheilung abgeschlossen.
Reifungsphase
Nach circa drei Monaten hat das Narbengewerbe 80 Prozent der Stabilität normaler Haut erreicht. Bis die einst rote Narbe dann weiß ist, dauert es oft ein bis zwei Jahre.