Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile

Prof. Dr. Jost Langhorst verbindet Schulmedizin mit Naturheilkunde und Ordnungstherapie (Mind-Body-Medizin). Die chronische Schmerzpatientin Maria J. hat davon profitiert

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Foto: Prof. Langhorst ©Jost Langhorst

Maria J. ¹ ist seit etwa 30 Jahren wegen chronischer Schmerzen in Behandlung und hat zudem seit 16 Jahren massive Darm-Probleme, für die es bisher keine wirkliche Diagnose gab. Eine „Behelfsdiagnose“ war Reizdarmsyndrom. Aufgrund ihrer chronischen Krankheiten arbeitet die 53-Jährige nur noch in Teilzeit, hat einen Schwerbehindertenausweis und bekommt Erwerbsminderungsrente, da sie wegen zu vieler Fehltage nicht Vollzeit arbeiten kann. Auch privat muss sie viele Zugeständnisse machen. Seit 20 Jahren keine Urlaube und auch sonst ist sie in ihren sozialen Aktivitäten eingeschränkt.

Von ihren Schmerztherapeuten in Würzburg wurde sie vornehmlich wegen der anhaltenden Darmprobleme an Professor Langhorst verwiesen. Er ist Chefarzt der Abteilung Integrative Medizin und Naturheilkunde im Klinikum Bamberg, wo Maria J. Ende letzten Jahres 14 Tage stationär verbrachte.

Echte Human-Medizin

Professor Jost Langhorst (54) ist Internist mit Schwerpunkt Gastroenterologie, wird in der Focus-Liste geführt und arbeitet an der Evidenzbasierung der Naturheilkunde und Psychotherapie in medizinischen Leitlinien mit.

Obwohl überzeugter westlicher Mediziner, hatte er schon im Medizinstudium das Gefühl, dass die ganzheitliche Sicht auf den Menschen in seinem Fach zu kurz kommt. Mit der Integrativen Medizin sei er endlich dort angekommen, wo er schon immer hin wollte: „Bei einer Human-Medizin, die den Namen auch verdient, einer Medizin, die zukunftsfähig ist, weil sie auch in 50 Jahren noch praktiziert werden kann, und einer Medizin, die sich vor allem bei chronischen Krankheiten auszahlt – nicht in drei Wochen, nicht in drei Monaten, aber in 30 Jahren!“

Seit fast 30 Jahren hat Maria J. gesundheitliche Probleme, seit 16 Jahren plagen sie Bauchkrämpfe, Blähungen und Durchfälle. „Auf einen Nenner gebracht: Immer, wenn ich esse, bekomme ich Schmerzen. Mein Bauch sieht dann aus, als ob ich schwanger wäre. Und in regelmäßigen Abständen suchen mich Durchfälle heim,“ erzählt Maria J. von ihrem Leben als chronische Schmerzpatientin. Eine jahrzehntelange Odyssee aus Arzt- und Klinikbesuchen hinter sich, hat sie Bamberg letztendlich als sehr positiv erlebt.

Zuerst habe sie gedacht, Essen ohne Zucker und so gut wie ohne Salz, das würde sie nicht hinkriegen: „Aber es ging erstaunlich gut! Vor allem, weil das Krankenhausessen in der Integrativen Abteilung in Bamberg jeden Tag früh und abends frisch zubereitet und als vegetarisches Büffet angerichtet wurde. Mittags gab es kein Büffet, sondern für die Patienten, die nicht heilfasteten, ein vegetarisches Gericht. Und zu jeder Tagesund Nachtzeit standen verschiedene Tees, bestimmt 20 Sorten, zur Verfügung, mit dem Hinweis auf die unterschiedlichen Beschwerdebilder, bei denen sie helfen könnten.“

Individuelle Therapie

„One fits all“ – das gibt es in der Integrativen Abteilung von Professor Langhorst nicht, besonders nicht, wenn es um die Ernährung geht. Die ist ihm extrem wichtig. Ganz im Sinne Hildegard von Bingens, heute noch Galionsfigur der Naturheilkunde, sieht er Nahrungsmittel als Heilmittel an und „füttert“ seine Patienten mit mediterraner Vollwertkost in Bio-Qualität.

„Deutschland ist in punkto ‚Krankenhausessen‘ auf dem Stand eines Dritte-Welt-Landes, wo Angehörige Essen in die Klinik bringen, weil die vorgesetzte Kost nichts für kranke Menschen ist“, kritisiert das Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Naturheilkunde den Status Quo des Essens in den meisten deutschen Kliniken. Den Grund sieht er in der Tatsache, dass Krankenhausessen zum reinen Kostenfaktor verkommen sei.

„Der Mensch ist ein Allesfresser. Es ist erstaunlich, was man ihm vorsetzen kann, und er bleibt dennoch relativ gesund“, so der Gastroenterologe. Das gelte für den gesunden Menschen. Beim Chronisch-Kranken schaue das schon anders aus, so der Internist. Hier sollte man an der Stellschraube „Ernährung“ kräftig drehen. Die Integrative Medizin ergänze die schulmedizinische Frage „Wie bekämpfe ich die Krankheit mit einem Medikament“ um die Frage „Wie unterstütze ich meine Gesundheit?“ (Ressourcenstärkung).

Das Glück einer Diagnose

Maria J. gefiel es, dass es in Bamberg kein „Entweder-oder“ gab, sondern ein „Sowohl-als-auch“ in Bezug auf Schulmedizin und Naturheilkunde. Gerade dort angekommen, ereilte sie nämlich ein Migräneschub. „Zunächst bekam ich Pfefferminzöl für die Schläfen, dann Lidocain für die Nase und als das auch nicht half, meine Migränemittel aus der Schulmedizin, die ich seit Jahren kannte! Und auch bei meinen stetigen Blähungen und Durchfällen schlug mir Professor Langhorst eine Darmspiegelung vor – meine Erste, wohlgemerkt! Der Chefarzt wollte sich mit der ‚Behelfsdiagnose‘ Reizdarmsyndrom nicht zufriedengeben, zum Glück! Nach 16 Jahren massiver Beschwerden, habe ich endlich eine Diagnose: Kollagene Kolitis! Das ist eine seltene Form einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung,“ freut sich die 53-jährige Angestellte.

Und auch eine Patientin aus Thüringen sei den Freudentränen nahe gewesen, als sich ihr Stuhlgang von 30 blutigen Stühlen am Tag nach 14 Tagen in Bamberg fast wieder normalisiert hatte, berichtet der behandelnde Arzt Professor Langhorst. „Sie verließ kaum mehr das Haus, und wenn, richtete sie ihre Besorgungen nach öffentlichen Toiletten aus“, erzählt der Professor vom Leidensdruck der Frau. Was hat geholfen?

„Es ist nicht das eine Medikament oder die andere naturheilkundliche Therapie, es ist das Gesamtkonzept“, konstatiert Professor Langhorst, der mit seinem Team aus fünf Internisten mit Fortbildungen in Naturheilkunde und Komplementärmedizin und einer Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Integrative Medizin in den Mittelpunkt stellt. „Wenn du auch nur Kleines dem Kleinen hinzufügst, aber du tust dies oft, wird auch Selbiges groß“, wusste schon der griechische Gelehrte Hesiod von Böotien 700 vor Christus. Oder wie es Professor Langhorst formuliert: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile!“

Gelerntes in den Alltag retten

Maria J. hat sich die „Einzelteile“ gemerkt, sie baut die Module, die sie in Bamberg kennengelernt
hat, nun zuhause in ihren Alltag ein: „Früh nach dem Aufstehen gleich eine Bewegungseinheit (kein Sport, nur sanfte Bewegung), dann einen halben Liter lauwarmes Wasser mit Zitrone trinken, dann lauwarmen Haferbrei zum Frühstück. Vor dem Einschlafen erwärme ich mir ein Bienenwachstuch für die Brust und für den Bauch gibt es untertags Kümmelauflagen. Einmal in der Woche besuche ich einen Qi-Gong-Kurs und einmal die Woche mache ich unter professioneller Anleitung Yoga.

Zur Immunstärkung und Entgiftung erinnere ich gern an die Ingwerwickel für die Nieren, und verzichte so gut es geht auf Zucker und Salz in der Ernährung. Da ich schon vor dem Klinikaufenthalt in Bamberg Vegetarierin war, muss ich mich hier nicht groß umstellen“. Zusätzlich bekam Maria J. ein pflanzliches Mittel für den Darm und ein schulmedizinisches Medikament als Migräne-Prophylaxe. Professor Jost Langhorst: „Jeder Patient schreibt seine eigene Geschichte. Unser Operationssaal, im dem kein Blut fließt, ist die Ordnungstherapie (Body-Mind-Medizin). Die Module hier sind Ernährung, Bewegung, Entspannungsverfahren, Meditation, naturheilkundliche Selbsthilfestrategien, etwa Kneipp’sche Anwendungen, Akupressur, Schröpfen oder Aderlass, zudem
Stressreduktion, sowie kommunikative und soziale Fähigkeiten.

„Diese gilt es nach dem Aufenthalt bei uns in den Alltag zu retten.“ Ziel all dieser Mittel und Methoden zusätzlich zur schulmedizinischen Behandlung sei es, so Langhorst, die Lebensqualität der Chronisch-Kranken zu verbessern, ihre Alltagstauglichkeit zu erhalten und insgesamt ihre Krankheit positiv zu beeinflussen. Maria J.: „Endlich habe ich eine Diagnose und kann mit den Handreichungen aus Bamberg dieser auch begegnen!“

Als Kassenpatientin wurde ihre Therapie nach Einweisung durch ihre behandelnden Ärzte ins Krankenhaus von der Kasse vollständig bezahlt, bis auf die üblichen Zuzahlungen. Außer in Bamberg gebe es bisher nur noch an zwei weiteren Standorten in Deutschland (Essen und Berlin) eine Klinik mit Integrativer Abteilung, in der sowohl stationär, teilstationär und ambulant gearbeitet werde, plus der Anbindung an einen Lehrstuhl, so das Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Phytotherapie
Langhorst.

Die Naturheilkunde gehöre in die Hörsäle, damit die Ärzte der nächsten Generation diese ganz selbstverständlich im Repertoire haben: „Sie müssten ans Krankenbett mitgenommen werden, damit sie sehen, dass für spezielle chronische Krankheitsbilder genau dieser Ansatz der Richtige ist“, betont der engagierte Vollblutmediziner.

¹Name von der Redaktion geändert

Das Interview mit Professor Dr. Jost Langhorst, Chefarzt der Abteilung Integrative Medizin und Naturheilkunde im Klinikum Bamberg, führte Lebenslinie-Chefredakteurin Susanna Khoury.

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