Cash Cows und Poor Dogs

Prof. Heribert Prantl prangert die Kapitalisierung der Medizin an

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Fallpauschalen mit kurzen Liegezeiten, unzureichende Honorierung sprechender Medizin, überbordende Bürokratie und auch die angestrebte Ambulantisierung der neuen Krankenhausreform – all das trägt zu einer Ökonomisierung der Medizin bei, die den kranken Menschen aus dem Blick verliert. Auf Einladung von Dr. Elisabeth Jentschke, Vorsitzende des Ethik-Komitees am Uniklinikum Würzburg (UKW), berichtete der Jurist, Autor und Journalist Professor Heribert Prantl (71) in einem Vortrag von einer Patientin aus den USA, die morgens zur Brustamputation ins Krankenhaus gefahren ist und nachmittags um 15 Uhr mit Drainage-Schläuchen für den Lymph- und Blutabfluss wieder entlassen wurde. Wollen wir so ein Gesundheitswesen, fragt der kritische Geist Heribert Prantl und erläutert das US-amerikanische Gesundheitssystem, das kranke Menschen in „Cash Cows“ und „Poor Dogs“ einteile. „Cash Cows“, übersetzt „Melkkühe“, das seien Patientinnen und Patienten mit Krankheiten, bei denen das Krankenhaus Gewinne mache. Das sei der Fall bei technisch aufwändigen Maßnahmen wie Hüft- oder Kniegelenksoperationen, Nieren- oder Knochenmark-Transplantationen. Und „Poor Dogs“ seien die „armen Hunde“, mit denen kein Geld zu verdienen sei, erklärt Prantl. Dazu zählten alte Menschen, chronisch Kranke, Patientinnen und Patienten mit vielen Krankheiten oder welche, die konservative Wundversorgung benötigten. Der Mensch gesehen als Kostenfaktor! Wollen wir das? Prantl hält in seinem gut einstündigen Vortrag ein feuriges Plädoyer für ein heilungsorientiertes Gesundheitswesen und gegen eine Verbetriebswirtschaftlichung der Medizin. „Medizin dürfe keine Industrie werden“, sagt er und zieht den Vergleich zur Autowerkstatt, wo repariert, lackiert und geschraubt werde, solange es sich rechnet. Er erinnert daran, dass Deutschland in diesem Jahr 75 Jahre Grundgesetz feiert und an den Artikel 1, der besagt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ In keinem anderen Feld werden Menschen so oft „angetastet“ wie in der Medizin. Daher sei es hier umso wichtiger, darauf acht zu geben, dass zumindest die Würde unangetastet bleibe. Prantl erzählt von hiesigen Trägern aus dem Gesundheitsbereich, die mit Altenheimen in Thailand, Spanien oder Osteuropa kooperieren, weil Pflege hierzulande zu teuer geworden ist. In einer immer älter werdenden Gesellschaft wünscht sich Prantl keinen „Oma- und Opa-Export“ ins Ausland, sondern tragfähige Pflegemodelle in Deutschland wie etwa Wohngemeinschaften, Wohnpflege-Gruppen, Gastfamilien oder Betreutes Wohnen. Er mahnt an, dass auf allen Ebenen „Rationalisierung statt Ratio“ um sich greife. Wirklich alles werde am Lineal der Ökonomie gemessen – König Midas als Repräsentant unserer Zeit? Wollen wir das? „Pflege und Krankheit sind nicht börsen- und renditefähig“, sagt der Münchner Pflegekritiker Claus Fussek. „Die Praxis lehrt anderes“, sagt Professor Heribert Prantl: „Private Klinikketten sind an der Börse notiert und machen respektable Gewinne.“ Zahlreiche kommunale Kliniken schrieben rote Zahlen, manche würden bereits zu Dumpingpreisen verkauft, andere müssten schließen, so der Status Quo. „Wird in der Folge das Behandlungsspektrum ­eingeschränkt? Nicht insgesamt, aber für langwierige, teure Krankheiten? Sind die Notarztdienste rund um die Uhr in Gefahr?“ diese Fragen stellt Prantl. „Wo bleibt die Daseinsvorsorge, zu der der Staat verpflichtet ist, wenn Angebot, Nachfrage und Rentabilität angepasst werden?“ Wo bleibt der Mensch? Notwendig seien nicht Kostenmanager, betriebswirtschaftliche Abrechnungen, Gewinn- und Verlust-Rechnungen, so Prantl. „Notwendig ist die Auferstehung von Nächstenliebe und wärmender Fürsorge!“ Zeit, Geborgenheit, Barmherzigkeit und ärztliche Kunst wären auch noch Begriffe, die man in die Waagschale werfen könnte … denn Ärztinnen und Ärzte sind keine Unternehmerinnen und Unternehmer, sie müssen heilen dürfen! Und Professor Prantl schließt sein Plädoyer für mehr Menschlichkeit in der Medizin mit den Worten von 1784 ab, die als Inschrift auf einer Tafel standen, die in Wien an die dortige Frauenklinik angebracht wurde: „In diesem Haus sollen die Patienten geheilt und getröstet werden!“ Prantl: „Wir brauchen 2024 viele solcher Tafeln. Wir brauchen den Geist und das Denken, das in diesen Worten steckt!“  Ja, das wollen wir! 

Die Veranstaltung zum Ethik-Tag am UKW sowie der Vortrag von Prof. Heribert Prantl wurde ermöglicht durch die Vogel Stiftung Dr. Eckernkamp.

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