Angst vor der Zukunft?

Zen-Meisterin Doris Zölls: Wie wir mit Krisen in der Welt umgehen und sie akzeptieren können

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©West-Östliche Weisheit Willigis Jäger Stiftung/Thomas Appel

Angesichts der unglaublichen Fülle von Problemen höre ich heute viele ältere Menschen sagen, wie froh sie seien, dass sie aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters die Schwierigkeiten, die auf die Jungen zukommen, nicht mehr erleben müssen. Das sind erschütternde Worte, denn viele der Probleme, mit denen sich die Jüngeren heute konfrontiert sehen, sind nicht einfach vom Himmel gefallen, sondern Folgen der Handlungen und Entscheidungen der älteren Generation. Solange wir leben, tragen wir Verantwortung – auch im fortgeschrittenen Alter. Auch von uns „Alten“ wird verlangt, dass wir die Konsequenzen bewusst auf uns nehmen. Wir lassen die jungen Menschen im Stich, wenn wir das ganze Ausmaß der Probleme ignorieren und gleichzeitig so tun, als läge alles nur an einer falschen Sichtweise. Als könnten wir weiter so unbewusst durch die Welt stapfen, ohne zu merken, welch tiefe Gräben unsere Fußstapfen hinterlassen, die es unseren Nachkommen unmöglich machen, weiter zu gehen. Wir müssen uns den Vorwürfen der jungen Generation stellen, sie als Weckruf verstehen und uns so für Lösungen öffnen. Es gab und gibt viele, die auf die Probleme hinweisen. Hören wir sie? Es scheint tief im Denken des Menschen verankert zu sein, dass er Ursache und Wirkung nicht als gleichzeitig erkennt, sondern nachordnet oder meist ausblendet. Sein Handeln richtet sich nicht nach dem Hier und Jetzt, sondern nach Lust und Laune aus. Der Mensch strebt nach seinem momentanen Gewinn, ohne sich der Folgen seines Handelns bewusst zu sein. Jetzt zu leben, heißt nicht, dem zu folgen, wozu uns unsere Triebe und Konditionierungen drängen. Jetzt zu leben heißt, sich dem Leben hinzugeben, ohne ein Warum und Wieso zu kennen. Im Jetzt fallen Ursache und Wirkung zusammen. Im Jetzt sind sie eins. Da unser Denken ständig von einem „Wenn, dann“ bestimmt ist, blendet es gleichzeitig die Einheit von Ursache und Wirkung aus. Wenn uns aber das Schicksal trifft, suchen wir nach Gründen und sehen unsere gegenwärtige Situation als Folge unserer Handlungen in der Vergangenheit. Das ist reine Interpretation, um die Zusammenhänge des Lebens zu erfassen und ihm einen roten Faden zu geben. Damit verfehlen wir immer wieder die Herausforderungen, vor die uns das Leben stellt. Wir können uns nicht wirklich vorstellen, was kommen wird. Das Leben ist unendlich komplex. Wir wissen nicht, welche Faktoren zusammenwirken. Es macht daher keinen Sinn, darüber zu spekulieren, was passieren könnte. 

Um dem Leben gerecht zu werden, um den Umständen entsprechend zu handeln, bedarf es keiner Vorstellungen, keiner Spekulationen. Keine Konzepte, keine Prinzipien, sondern ein bewusstes, unmittelbares Sein, in dem es kein „Ich will aber“ gibt. Es ist ein Sich-Einlassen auf das, was ist, ohne Streben nach Gewinn oder Angst vor Verlust. Das Leben zeigt sich in jedem Augenblick neu. Die Aufgaben kommen auf mich zu, die Lösungen ergeben sich. Es macht einen großen Unterschied für unser Handeln, ob wir das Leben als Herausforderung oder als erdrückendes Problem sehen. In jedem Augenblick schenkt sich das Leben selbst. Kein Ich kann das leisten, das Ich kann es sich nicht einmal vorstellen. Aber allein dadurch, dass ich mich dem hingebe, was das Leben mir jetzt unter die Füße legt, ergreife ich das Leben, wie es ist und wie es jetzt gelebt werden will.

Gastbeitrag von Zen-Meisterin der Linie „Leere Wolke (Willigis Jäger) Doris Zölls vom Benediktushof in Holzkirchen.

 

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