„Ich habe nie gesagt: Ich will allein sein. Ich sagte: Ich will allein gelassen werden – das ist ein Riesenunterschied“, hat Hollywood-Ikone Greta Garbo den Unterschied zwischen Einsamkeit und gewolltem Alleinsein auf den Punkt gebracht. Während der Pandemie mit den Kontaktverboten zu den vulnerablen Gruppen, haben viele Seniorinnen und Senioren ungewolltes Alleinsein erlebt – mit körperlichen wie psychischen Konsequenzen. Laut der Einsamkeits-Forscherin Julianne Holt-Lunstad, Professorin an der Brigham Young University, seien Einsamkeit und soziale Isolation ein immenses Gesundheitsproblem1. Metaanalysen haben gezeigt, dass soziale Isolation und Einsamkeit mit einem erhöhten Risiko für einen vorzeitigen Tod einhergingen. Warum macht Einsamkeit krank? Das haben wir den Altersmediziner Dr. Michael Schwab gefragt, der Seniorinnen und Senioren in den sechs Einrichtungen des Bürgerspitals Würzburg während der Pandemie ärztlich mitbetreut hat. „Der Mensch ist ein Seelenwesen. Körper und Psyche sind immer in Verbindung, und natürlich entsteht durch Einsamkeit Stress, und natürlich verändert Stress im Blut die Hormone. Und was man mittlerweile auch weiß: Natürlich löst Stress jeder Art, also auch Einsamkeitsstress, Entzündungen aus. Beides, Hormonveränderungen und Entzündungen machen krank“, so der Geriater. Der Mensch sei ein soziales Wesen. „Er lebt aus der Selbstaktualisierung, aus dem Kontakt mit anderen Menschen und aus deren Rückmeldungen!“ Und er sei ein Beziehungswesen. Als solches werde er getragen von positiven wie negativen Emotionen. Wenn soziale und emotionale Kontakte fehlten, wie in der Corona-Zeit, komme es zu einer Deprivation: „Der Mensch verarmt psychisch.“ Interessant seien aber auch die Ergebnisse der Cosmos-Studie, so Dr. Schwab, die evaluiert hat, dass es zwar zu einer Zunahme etwa von Ängsten und Depressionen alter Menschen in der Pandemie gekommen ist, aber zu keiner explosionsartigen. Ein Gespräch von Dr. Schwab mit einer Altenheimbewohnerin während der Pandemie lässt erahnen warum. Die Seniorin sagte: „Wissen Sie, ich habe den Krieg überlebt, ich überstehe auch Corona!“ Der Altersmediziner spricht hier von einer Art „Stressimpfung“. Die Widerstandsfähigkeit und Selbstwirksamkeit, die aus den Worten der Seniorin sprechen, zeuge von Resilienz, die nach einem Trauma zu einer Art posttraumatischem Wachstum geführt hat. Die Resilienz-Forschung bestätige das, und identifiziert ganz eindeutig Eigenschaften, warum manche Menschen besser herausfordernden Situationen trotzen als andere. Dazu gehöre, laut Schwab, aktive Lebensgestaltung, Selbstwirksamkeit, also die Überzeugung, durch sein Tun Dinge bewirken zu können, und ein realistischer Optimismus. Aber auch der Erhalt sozialer Strukturen, wie etwa die fünf festen Freundinnen und Freunde, die in den Blue Zones2 beschrieben sind. Dann Offenheit, Neugier, Flexibilität, das bewusste Wahrnehmen positiven Erlebens und eine gewisse Härte gegen Widerstand. „So wie man sich körperlich abhärten kann, kann man sich auch seelisch abhärten!“ Nicht zu vergessen ein stabiles Selbstwertgefühl und ein Kohärenzgefühl, will heißen, dass etwas verstehbar, beeinflussbar und handelbar ist. Alter ist keine Krankheit und Alt sein bedeutet nicht, unweigerlich einsam sein zu müssen. Das „Zufriedenheitsparadoxon“ der Hundertjährigen-Forschung3 stelle das eindrücklich unter Beweis, so der Geriater. „Menschen, die 100 Jahre oder älter sind, sehen sich einerseits konfrontiert mit vielen gesundheitlichen Problemen, sozialen Verlusten und oft auch kognitiven Einschränkungen. Auf der anderen Seite haben sie meist ein erstaunlich hohes Niveau an Lebenszufriedenheit und sind eher selten depressiv“, ist sich Dr. Michael Schwab sicher. In diesem Sinne: Ad multos annos (Auf viele weitere Jahre)!
Quellen: 1deutsch.medscape.com/artikelansicht/4912310?form=fpf, 2 www.age.mpg.de/was-sind-blaue-zonen, 3www.dggeriatrie.de/kongress/neuigkeiten/1908-keynote-lecture-daniela-jopp-neueste-erkenntnisse-aus-hundertjaehrigen-studien-ueber-vulnerabilitaet-und-resilienz
Im Podcast „Entlang der Lebenslinie“ haben wir uns ebenfalls mit Dr. Michael Schwab über Einsamkeit, Resilienz und die Silver Society unterhalten. Abrufbar ist der Podcast unter apple.de, deezer.com, podcast.de oder open.spotify.com und natürlich auf der Lebenslinie-Website unter: www.lebenslinie-magazin.de/artikel/ll004-ll004-spezial-silver-society