Theater am Puls der Psyche

Im Theater am Neunerplatz ist ab April 2026 das Musical „Fast normal“ zu sehen. Ein Stück über eine bipolare Störung und das, was bleibt

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Balladen, Rock, Familienkatastrophe – das klingt erstmal nach viel, und ist es auch. „Fast normal“, das neue Musical am Theater am Neunerplatz 2026, geht unter die Haut. Das preisgekrönte Stück von Tom Kitt und Brian Yorkey erzählt vom Leben mit einer bipolaren Störung. Im Mittelpunkt: Mutter Diana – mal himmelhochjauchzend, mal bodenlos erschöpft. Und dazwischen eine Familie, die versucht, nicht zu zerbrechen. „Es ist ein Stück, das auf ganz vielen Ebenen packt, angreift und mitnimmt. Aber am wichtigsten: Es schafft Awareness“, erklärt Niklas Kremer, der im Stück eine zentrale Rolle spielen wird, die ungewöhnliche Wahl. „Fast normal“ sei musikalisch wie inhaltlich ein Ausnahmefall. „Es hat so viele Wendungen. So etwas gibt es in dieser Art und Weise in keinem anderen Musical.“ Das Stück schaffe etwas Seltenes: Es unterhält – und erklärt. Psychische Erkrankung werde hier nicht versteckt, sondern beleuchtet. Unbequem ehrlich. Psychotherapeut Kay Khambatta, der im Musical die Rolle von Henry, dem Freund der Tochter Dianas, übernimmt, erklärt: „Eine bipolare Störung ist ein Wechsel zwischen außergewöhnlichen Stimmungslagen.“ Es gebe unterschiedliche Ausrichtungen. Bei Protagonistin Diana wechseln sich depressive Episoden, Phasen von Niedergeschlagenheit und tiefer Traurigkeit, mitunter Leere mit Episoden sehr gehobener Stimmung ab. Und in ihrem Fall kommt noch eine psychotische Ebene hinzu: Halluzinationen, Realitätsverlust, der Griff in andere Sphären. „Grundsätzlich kann eine solche Erkrankung jeden treffen“, betont Khambatta. Doch es gebe verschiedene Einflussfaktoren, biologischer, neurobiologischer oder psychosozialer Art. Was also tun? Eine medikamentöse Therapie sei dem Experten zufolge meist der erste Schritt – sogenannte Stimmungs-Stabilisierer sollen die Schwankungen abmildern. Doch die können auch Nebenwirkungen haben. „Ich fühle gar nichts mehr“, singt Diana in einem berührenden Moment. Ein Gefühl, so der Fachmann, das ebenso belastend sein könne wie wiederkehrende Höhen und Tiefen. Psychotherapie, Aufklärung, in schweren Fällen auch Elektrokrampftherapie (EKT), die einen temporären Gedächtnisverlust zur Folge haben könne – der Weg zur Besserung sei individuell. Und steinig. Und die Familie? Sie taumelt mit. Vater Dan, Tochter Natalie – alle kämpfen. Um Nähe, um Normalität. Oft vergeblich. Ganz so, wie oftmals auch im echten Leben. Die bittere Pille, dass es schnelle Lösungen nicht gibt und Ignoranz kein Mittel der Wahl ist, muss nicht nur der Vater schlucken, ebenso wie die Erkenntnis, dass Besserung teils drastische Schritte verlangen kann. Eine Songzeile bringt es schließlich auf den Punkt: „Ich bin das, was bleibt, wenn alles andere geheilt ist.“ Was bleibt, ist Erinnerung, oft auch Schmerz. Das ist okay. Das Ensemble am Neunerplatz nimmt sich bewusst eines Tabuthemas an. Warum? Weil es nicht offenkundig ist. Und der Umgang damit schwierig. Angehörige wollen helfen – und überfordern sich. Khambatta rät: „Erst die eigene Sauerstoffmaske aufsetzen.“ Abgrenzung sei kein Verrat, sondern Selbstschutz. Wie bereitet man sich auf so ein Stück vor? „Wir haben lange gesucht, bis wir eine Darstellerin gefunden haben, die dieser Rolle gewachsen ist – schauspielerisch und emotional“, so Regisseur Jonas Ehser, der im Stück Vater Dan spielt. Auch intern wird das Ensemble psychologisch beraten. Denn wer so ein Thema glaubwürdig auf die Bühne bringen will, muss es nicht nur spielen – sondern verstehen. Und das Publikum? „Ich wünsche mir, dass die Menschen ins Gespräch kommen“, sagt Niklas Kremer. Und vielleicht ist das die größte Stärke von „Fast normal“: Dass es zeigt, was sonst unsichtbar bleibt – und uns dabei (hoffentlich) ein bisschen näher zueinander bringt.

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