Zwischen Versorgung und Verdrängung

Warum die Vor-Ort-Apotheken ums Überleben kämpfen

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©Stefan Mahler

Ob Halsschmerzen, ein Beratungsgespräch zu Nebenwirkungen von Arzneien oder ein Botendienst nach Hause – für viele Menschen ist die Apotheke um die Ecke ein vertrauter Anker im Alltag. Doch genau diese Institution steht unter Druck: Die Zahl der Apotheken in Deutschland ist so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Ende 2024 waren es laut Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) nur noch rund 17.000 Vor-Ort-Apotheken – ein Minus von über 16 Prozent innerhalb von zehn Jahren. Der Inhaber der Theater- und der Stern-Apotheke in Würzburg, Dr. Michael Sax, bringt es auf den Punkt: „Wir sind an der Kapazitätsgrenze – wirtschaftlich, personell und strukturell.“ Der Grund sei vor allem die seit über 20 Jahren kaum angepasste Vergütung durch die Krankenkassen: „Für jede abgegebene Packung rezeptpflichtiger Medikamente erhalten Apotheken aktuell 8,35 Euro – unabhängig vom Preis oder Aufwand. Gleichzeitig steigen Mieten, Energiepreise und Personalkosten. Viele Betriebe kämpfen ums wirtschaftliche Überleben.“ Vor-Ort-Apotheken leisten einen entscheidenden Beitrag zur Gesundheitsversorgung: Sie beraten zu Risiken und Wechselwirkungen der Medikamente, erkennen Kontraindikationen, stellen individuelle Rezepturen her und sichern mit Not- und Nachtdiensten die Versorgung vor Ort – für ältere oder chronisch kranke Menschen ein unerlässlicher Mehrwert. Mit dem E-Rezept habe sich die Lage noch verschärft. Versandapotheken werben damit, E-Rezepte schnell per App zu schicken und am nächsten Tag die Medikamente zu erhalten. Diesen Wettbewerbsnachteil mahnt auch Dr. Sax an: „Nur als Lückenbüßer (für die Dienste, die eine ­Versandapotheke nicht leisten kann oder mag), funktionieren wir nicht.“ Auch die Bürokratie bindet Zeit. Laut Studien entfällt rund ein Drittel der Arbeitszeit in der Apotheke auf Verwaltung. Gesundheitsökonom Christian ­Hagist sieht in der Digitalisierung eine Lösung: „Sie kann Apotheken entlasten und zugleich die Versorgung verbessern.“ Es brauche ein neues Verständnis von Apothekenarbeit. Expertinnen und Experten fordern eine stärkere Einbindung in die Primärversorgung – Blutdruckmessungen, Impfberatungen oder Medikationsanalysen könnten in Apotheken durchgeführt werden. Diese Dienstleistungen würden nicht nur die Versorgung verbessern, sondern auch die Therapiesicherheit erhöhen. Apotheken selbst setzen verstärkt auf digitalen Service: Bestell-Apps und Onlineshops sollen den Alltag erleichtern – verbunden mit persönlicher Beratung. „Ein Chatbot kann keine echte Begegnung ersetzen“, sagt Dr. Sax. „Es fehlt an Empathie und der Bewertung des individuellen Problems der Patientinnen und Patienten, um eine optimale Lösung zu finden.“ Damit Apotheken überleben, brauche es faire Vergütung, weniger Bürokratie, gezielten Einsatz von Digitalisierung – und ein Bewusstsein in der Bevölkerung für ihren Mehrwert. Denn wenn die Apotheke um die Ecke verschwindet, geht mehr verloren als eine Medikamentenabgabestelle. Es verschwindet unwiederbringlich ein Stück Gesundheitskultur!

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