Pflegefall versus Pflegefalle

Bruno Orlowski erklärt, wie man sich am besten auf einen möglichen Pflegefall in der Familie vorbereitet

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Foto: ©depositphotos.com/@yacobchuk1

Eben noch ganz weit weg, ist die Situation urplötzlich da: Partner, Eltern oder Großeltern werden zum Pflegefall. „Pflegebedürftig sind laut Gesetz Personen, die Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder Fähigkeitsstörungen aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen“, erklärt Bruno Orlowski, Inhaber einer Vermittlungsagentur für Pflegekräfte.

„Es muss sich um Personen handeln, die körperliche oder psychische Schädigungen, Beeinträchtigungen körperlicher, kognitiver oder psychischer Funktionen sowie gesundheitlich bedingte Anforderungen oder Belastungen nicht selbstständig kompensieren oder bewältigen können.“ Diese Voraussetzungen, so der Fachmann, müssen für voraussichtlich mindestens sechs Monate gegeben sein. Tritt dieser Fall ein, sollte umgehend ein Pflegeantrag gestellt werden. Denn Leistungen gebe es erst ab diesem Zeitpunkt. Eine rückwirkende Bewilligung sei ausgeschlossen.

Erste Einblicke böten auch Pflegegradrechner im Internet¹. „So erhält man einen Anhaltspunkt, was einem zusteht“, sagt Orlowski. Stimme man der Entscheidung der Pflegekasse über die Höhe des Pflegegrades nicht zu, könne im Rahmen der gesetzlichen Frist von einem Monat Widerspruch eingelegt werden. Für seine Angehörigen möchte man die optimale Versorgung – und diese im Idealfall mit dem eigenen Berufs- und Privatleben in Einklang bringen.

„Ein Richtig oder Falsch gibt es nicht“, konstatiert Orlowski. „Fakt ist, dass die meisten Menschen in den eigenen vier Wänden bleiben möchten.“ In Deutschland seien derzeit rund drei Millionen Menschen pflegebedürftig, mehr als zwei Millionen würden zu Hause unterstützt.² „Mobilität ist entscheidend, um im Alter zu Hause selbstbestimmt leben zu können,“ weiß Bruno Orlowski.

Die Erfahrung zeige jedoch, dass sich ältere Menschen oft mehr einschränken als nötig – etwa aus Furcht vor Stürzen. Eine Lösung könnten hier Alltagsbegleiter sein, die helfen – und zwar vom morgendlichen Aufstehen über das Treppensteigen bis hin zu kleinen Spazier- oder Besorgungsgängen. Betreuungskräfte könnten Speisepläne erstellen, Einkaufen, Kochen und auch Mahlzeiten anreichen.

Für Pflegebedürftige und deren Angehörige gebe es viele Möglichkeiten der Unterstützung, sagt der Promedica-Chef. Immer mehr auch durch die Vermittlung von osteuropäischen Betreuungskräften in Privathaushalte von Senioren. „Es gibt auch gute Gründe, in eine stationäre Einrichtung zu ziehen.“ Zum Beispiel, wenn kein Pflegebett im Schlaf- oder Wohnzimmer untergebracht werden könne oder an der Wohnung zu viele Erinnerungen an den verstorbenen Partner hingen. Stufen, die nicht mit einem Treppenlift überwunden werden könnten, würden den Lebensraum vielleicht ein­engen.

„Wenn Pflegebedürftige aufgrund einer demenziellen Veränderung sich selbst und andere gefährden (könnten), dann ist eine Heimunterbringung die bessere Alternative.“ Auch über rechtliche Vereinbarungen wie Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung sollte im familiären Umfeld gesprochen werden, um die Wünsche der Angehörigen diesbezüglich zu kennen. „Jeder kann von Heute auf Morgen Pflegefall sein“, sagt Orlowski. „Wenn es dazu kommt, muss es oft schnell gehen. Betroffene leiden Schmerzen und machen sich Sorgen. Angehörige spüren den Druck, neben dem Alltag diese Situation auch noch bewältigen zu müssen.“

Nun heiße es, kurzfristig Entscheidungen zu treffen. „Gespräche im Vorfeld helfen, Berührungsängste zu mildern und Tabus zu brechen.“ Im Familienrat könnten die Angehörigen besprechen, wie eine mögliche Belastung auf mehrere Schultern verteilt werden könne und so ein Pflegefall nicht zur Pflegefalle für alle werde.

„Und all das gilt es zu bewältigen, ohne die Würde und die Gefühle des Hilfebedürftigen zu verletzten.“

Quellen:
¹www.promedicaplus.de,
²https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/72476/2-86-Millionen-Menschen-sind-­pflegebeduerftig,
³www.bmjv.de

www.promedicaplus.de/wuerzburg-sued-ost

Lass uns reden …
Fragen, die im Familienverbund früh auf den Tisch kommen sollten:
• Was soll geschehen, wenn ich ein ­Pflegefall werde?
• Wie steht es um die finanzielle und rechtliche Vorsorge?
• Müssen Vollmachten erteilt werden?
• Was sind die Leistungen der Pflege­versicherung?
• Wo bekomme ich Informationen zu ­ambulanter und stationärer Pflege her?
• Welches Betreuungsmodell ist für mich das richtige?

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