Ziehende Schmerzen

Internistin und Rheumatologin Dr. Jutta Bohn über eine komplexe Krankheit: Rheuma

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Dr. Jutta Bohn, Oberärztin im Juliusspital (Internistin, Rheumatologin). Foto: Stiftung Juliusspital

Dr. Jutta Bohn, Oberärztin im Juliusspital (Internistin, Rheumatologin). Foto: Stiftung Juliusspital

Laut der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie leiden derzeit rund 1,5 Millionen Menschen an entzündlichem Rheuma. Das sind zwei Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Hinzu kommen noch etwa 15.000 rheumakranke Kinder.

Symptome von Rheuma sind schmerzende und geschwollene Gelenke und eingeschränkte Beweglichkeit. „Unter den Begriff ‚Rheuma‘ fällt viel, was eigentlich kein entzündliches Rheuma ist“, so die Oberärztin der Gastroenterologie und Rheumatologie des Juliusspitals Würzburg, Dr. Jutta Bohn.

„Immer dann, wenn es irgendwo ‚zwickt‘, heißt es: ‚Mein Rheuma hat wieder zugeschlagen.‘“ Viele dieser Beschwerden seien jedoch degenerativer Art, Verschleißerscheinungen, wie sie mit zunehmendem Alter auftreten. Echte entzündliche rheumatische Erkrankungen sind ein Problem des Immunsystems.

Tatsächlich ist Rheuma (von griechisch „rheo“ = ich fließe) ein Oberbegriff für über 100 verschiedene, frei übersetzt, „ziehende Schmerzen“ (Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie). Mediziner sprechen daher von „Krankheiten des rheumatischen Formenkreises“.

Die Diagnose sei komplex, so die Internistin Bohn. „Es gibt Konstellationen, da ist die Sache klar: Gelenkbeschwerden symmetrisch ausgeprägt, morgens besonders schlimm, mit einer Steifigkeit einhergehend. Dazu erhöhte Entzündungswerte im Blut sowie der Nachweis des Rheumafaktors und von so genannten Anti-CCP-Antikörpern.

Diagnose: Rheumatoide Arthritis (entzündliches Gelenkrheuma). In vielen Fällen sei das klinische Erscheinungsbild leider nicht derart eindeutig. So vielfältig wie die Erscheinungsbilder sind auch die Betroffenen. Rheuma betreffe alle Altersgruppen, sogar Kinder, klärt die Rheumatologin auf. Frauen sind häufiger betroffen als Männer.

Warum die Einen Rheuma bekommen, Andere nicht, sei nicht wirklich geklärt. Natürlich gibt es erbliche Faktoren. Auch Menschen, die langjährig intensiv rauchten, hätten ein größeres Risiko, eine einzelne sichere Ursache habe die Forschung aber bislang nicht finden können. Den Betroffenen ist es meist auch egal, woher das Rheuma kommt. Sie sind sich aber einig, es soll wieder weggehen…!

Ziel einer Behandlung entzündlichen Rheumas ist die Remission, sprich schmerzfrei zu sein: „Eine entzündlich-rheumatische Erkrankung lässt sich meist relativ schnell mit einem Cortison-Präparat behandeln“, so Dr. Bohn.

Ein Medikament für die Dauerbehandlung sei das aber nicht. Zum einen begünstige eine langfristige Einnahme Osteoporose. Zum anderen verursache Cortison eine Gewichtszunahme, Muskelabbau, die Ausdünnung der Haut und oft auch Grauen Star.

Langfristig müsse ein Medikament gegeben werden, das den gleichen Effekt habe, dafür aber mit deutlich weniger Nebenwirkungen einhergehe. Die Auswahl ist da groß. Natürlich könne auch der Patient zur Besserung seiner Erkrankung beitragen: bei Gicht beispielsweise durch purinarme* Kost und Bewegung.

Für wieder andere entzündlich-rheumatische Erkrankungen lautet die Ernährungsempfehlung: „gesunde, mediterrane Mischkost“, fleischarm, dafür aber Fisch, Obst und Gemüse. Auch regelmäßige Bewegung an der frischen Luft sei gut, weil sie das Immunsystem reguliere und die Stimmung hebe.

„Die entzündeten Gelenke sollten nicht überlastet, aber regelmäßig bewegt werden. Ein entzündetes Gelenk, das man nur schont, steift ein und tut noch mehr weh.“ Zudem gilt: Viele Patienten mit Autoimmunerkrankungen profitieren davon, wenn sie das Rauchen aufgeben.

Also: „Finger weg vom Glimmstengel!“

* Purine sind organische Verbindungen in der Nahrung, die im Körper nach dem Verzehr zu Harnsäure abgebaut und über die Nieren ausgeschieden werden. Da Purine in den Zellkernen wohnen, sind Lebensmittel mit vielen Zellen purinreich, wie Nieren und Leber sowie Muskelfl eisch und Wurst. Von welchem Tier das Fleisch stammt, fällt in Bezug auf den Puringehalt kaum ins Gewicht. Relativ viel Purine verstecken sich in der Haut von Gefl ügel und Fisch sowie in der Schwarte vom Schwein. Auch die allseits gepriesenen Omega3-Lieferanten Hering, Sprotte, Sardelle, Lachs, Hummer oder Miesmuscheln sind leider purinreich.

Arten des rheumatischen Formenkreises
Übersicht entzündlicher und nicht entzündlicher Formen

Rheumatoide Arthritis 
Von den entzündlich rheumatischen Erkrankungen ist sie die häufigste Form. Es handelt sich um eine Fehlfunktion im Immunsystem, bei der die körpereigenen Immunzellen Entzündungen in den Gelenken verursachen. Sie führt zu Bewegungseinschränkungen, Schmerzen und Schwellungen der Gelenke. Bei einer Nichtbehandlung kommt es sogar zur Zerstörung dieser. Mittlerweile steht eine ganze Fülle an Medikamenten zur Behandlung zur Verfügung. Große Fortschritte gebracht hätten etwa Biologika, so Dr. Bohn, das sind Präparate, die einzelne Entzündungsbotenstoffe abfangen oder unschädlich machen.

 Fibromyalgie
„Das Fibromyalgie-Syndrom ist ein Krankheitsbild, das man heute noch nicht ganz versteht und nicht weiß, warum es starke Schmerzen macht, obwohl man gar nichts findet“, sagt Dr. Brohn. Es handelt sich um eine Rheumaart, die nicht entzündlich ist. Das Immunsystem hat keinen „Fehler“. Dieser muss an anderer Stelle liegen, etwa bei der Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung im Gehirn. „Häufig entwickelt sich ein solches Syndrom auf dem Boden einer langjährigen Schmerzerkrankung, meint die Ärztin. Bislang gebe es wenige, wirklich durchschlagende Präparate, die helfen.

Arthrose
„Arthrose ist ein Gelenkverschleiß, also eine degenerative Veränderung der Gelenke, die gerade an den Regionen auftritt, die besonders beansprucht wurden“, erläutert die Medizinerin. Die Ausprägung kann ganz unterschiedlich ausfallen, nicht nur in Abhängigkeit etwa von einer einschlägigen, beruflichen Tätigkeit. Auch erbliche Faktoren und Fehlstellungen spielen eine Rolle. Die Möglichkeiten, hier mit Medikamenten den Schmerzen entgegen zu wirken, sind vielfältig. Ob letztlich eine Operation nötig wird, hängt von der Schwere der Arthrose ab.

Gicht
„Gicht ist oft auf unser gutes Leben mit viel Fleisch und viel Bier zurückzuführen“, betont Dr. Brohn. Natürlich gebe es aber auch andere Gründe für Gichtanfälle wie eine eingeschränkte Nierenfunktion oder eine bestimmte Tablettenkonstellation. Besagte Ernährungsweise lasse die Harnsäure ansteigen und begünstige einen Gichtanfall (entzündliche Veränderung des Gelenkes). In den allermeisten Fällen kann sie sehr gut behandelt werden. Das Einfachste wäre eine Ernährungsumstellung, die zumeist gut wirksam ist.

Lupus erythematodes 
Die seltene, aber lebensbedrohende Erkrankung Lupus erythematodes kann viel häufiger die Gelenke angreifen, als es bei der rheumatoiden Arthritis der Fall ist. Sie kann sich aber auch in Organen abspielen – mit Lungenveränderungen, -entzündungen, Nierenveränderungen, -entzündungen, Veränderungen im Magen-Darm-Trakt. Typisch für diese entzündliche Form des Rheumas ist, dass sie überall im Körper auftritt. Das Spektrum des Entgegenwirkens reicht von leichten Schmerzmitteln bis hin zu schweren immununterdrückenden Medikamenten.

Info:
Am 22. November findet im Rahmen der Juliusspitälischen Abende der Vortrag „Leben mit Rheuma“ von Referentin Dr. Jutta Bohn, Oberärztin Abteilung Gastroenterologie/Rheumatologie, statt. Veranstaltungsbeginn ist um 17 Uhr, www.juliusspital.de/krankenhaus, www.dgrh.de

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