Work-Life-Balance 1824

Der Mediziner Johann Lucas Schönlein (1793-1864) verstand es schon damals das Hochgeistige vorbildlich mit dem Profanen zu verbinden

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Seine Studenten vergötterten ihn: Die Rede ist von Johann Lucas Schönlein.

Der 1793 in Bamberg geborene Internist, gilt als Wegbereiter des Fachs „Innere Medizin“.

Er forcierte eine strikte Systematik aller Erkrankungen und revolutionierte klinische Untersuchungsmethoden.

Foto: Martina Schneider

Foto: Martina Schneider

Ihm ist es zu verdanken, dass Würzburg ab 1824 – da wurde Schönlein Chefarzt im Juliusspital, dem damaligen Lehrkrankenhaus der Würzburger Medizinischen Fakultät – zu einem „Wallfahrtsort für junge Ärzte“ wurde.

Die Studenten vergötterten den Mediziner, der großen Wert auf sein Äußeres legte und als „ein wenig eitel“ galt.

Er gehörte zu den freisinnigen Würzburger Professoren, die sich täglich in der Geist’schen Bierstube neben dem Juliusspital in der Kühgasse (heute Pleicherkirchgasse) bei Gestensaft „austauschten“.

Schönlein wusste schon damals, Geschäftliches und Privates im Sinne einer „Work-Life-Balance“ zu verbinden.

Im Juni 1827 plante er eine Reise nach Oberitalien. Er wolle die für diese Gegend typischen Krankheiten kennen lernen, sagte er.

Praktischerweise fiel seine Heirat mit Therese Heffner, der Tochter des königlich bayerischen Regierungsrates Philipp Heffner aus Würzburg, genau in diesen Monat. Höchstwahrscheinlich hat Schönlein damals mit dem Besuch Oberitaliens seine Hochzeitsreise verbunden.

Eine sorgfältige Beobachtung des Krankheitsbildes „und die Schulung des ärztlichen Blickes“ waren ihm wichtig. Schönlein betonte stets, Ekel und Abscheu seien am Krankenbett fehl am Platz.

Früher, so dozierte Schönlein, habe man den Zuckergehalt des Harns mit den Fingern an der Zunge erprobt.

Er tauchte den Mittelfinger der rechten Hand in ein Glas voll Urin und leckte dann seinen Finger ab. Widerwillig und Grimassen schneidend machten es ihm seine Studenten nach.

„Sehr gut, meine Herren“, stellte der Professor lobend fest.

„Den Ekel haben Sie, wie ich sehe, bereits überwunden. Allerdings lässt bei allen die Beobachtungsgabe noch erheblich zu wünschen übrig. Ihnen ist nämlich entgangen, dass ich zwar den Mittelfinger eintauchte, aber den Zeigefinger ableckte.“

Schönlein war ein begnadeter Redner, aber „einer der schreibfaulsten großen Ärzte der Geschichte“. Dadurch sind seine Verdienste für die Nachwelt lückenhaft erfasst, denn „Schönlein publizierte nichts“. Das taten für ihn – und gegen seinen Willen –seine Studenten, deren Vorlesungs-Aufzeichnungen reißenden Absatz fanden.

Am 3. April 1833, dem Tag des Überfalls auf die Frankfurter Hauptwache, mit dem eine Revolution in Deutschland ausgelöst werden sollte, war Schönlein in Frankfurt und wurde prompt als politisch Verdächtiger zur Fahndung ausgeschrieben.

Er floh mit einem Kahn mainabwärts nach Zell, schlüpfte bei einem Freund unter und reiste dann mit einer Kutsche weiter nach Zürich.

Daraufhin forderte der Würzburger Stadtmagistrat „in größter Stille und Heimlichkeit“, die ihm 1830 verliehene Ehrenbürgerschaft zurück.

Schönlein schickte das Diplom postwendend mit dem Vermerk: „Papiere ohne Werth“ nach Würzburg retour.

Er kehrte auch nie mehr in die Stadt am Main zurück, sondern lebte und wirkte fortan in Zürich und an der Charité in Berlin, bevor er sich in seiner Heimatstadt Bamberg zurückzog, wo er 1864 starb.

In Würzburg wurde nicht nur eine Straße nach dem berühmten Internisten benannt, letztes Jahr hat er es auch in die „Ehrengalerie berühmter Mediziner“ der Stiftung Juliusspital geschafft.

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