Wir leben nicht artgerecht

Mangelnde Bewegung hat weitreichende gesundheitliche Folgen und verursacht 163 Milliarden Euro Kosten im Jahr in Deutschland

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Foto: depositphotos.com/©londondeposit

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt für Erwachsene mindestens 5 x 30 Minuten moderate bis körperlich intensive Aktivität pro Woche. Im Idealfall soll es eine Mischung aus Kraft- und Ausdauer-Training sein. Geriater Dr. Michaels Schwab des Geriatrie-Zentrums Würzburg im Bürgerspital betont, dass jede Form der Bewegung zähle, Hauptsache man bewegt sich – das gelte auch für Yoga, Spazierengehen oder Schwimmen.

Die Realität in Deutschland sieht anders aus, so der Report der Deutschen Krankenversicherung (DKV) „Wie gesund lebt Deutschland 2016“. „80 Prozent der Befragten verrichten keine intensive körperliche Arbeit. Die restlichen 20 Prozent tun dies im Mittel für 90 Minuten pro Woche“, heißt es zur Befragung, die das Meinungsforschungsinstitut GfK Nürnberg vom 25. Februar bis 1. April 2016 bei über 2.800 Einwohnern in Deutschland durchgeführt hat.

Das Fazit: „Die meisten fühlen sich gesund – die wenigsten leben wirklich gesund. Das Bewusstsein für eine gesunde Ernährung steigt, während die körperliche Aktivität abnimmt.“

Körperfeindliches Verhalten

Eine Tendenz, die auch in Würzburg feststellbar ist, wie Hans-Otto Wöhrle, Osteopath und Trainer für Fitness und Gesundheit, und Bernd Altenhöfer, Cheftrainer des „No4 Aktivzentrum“ in Würzburg, berichten. Die beiden Fachleute sind sich einig: „Wir leben nicht artgerecht.“

Der Mensch ist dafür gemacht, sich die meiste Zeit des Tages zu bewegen und nur kurz zu sitzen. Der natürliche Bewegungsdrang, den Kinder haben, wird spätestens mit dem Eintritt in die Schule abtrainiert. „Man zwingt sie dazu, sich körperfeindlich zu verhalten“, sagt Altenhöfer. In seinem Aktivzentrum sehe er die Folgen dieser Inaktivität täglich. „Die Menschen verlieren den Bezug zu ihrem Körper, sei es koordinativ oder in der Einordnung von Schmerzen. Ein Muskelkater wird oft falsch gedeutet.“

Übergewicht, Antriebslosigkeit und fehlende Beweglichkeit der Gelenke gehörten ebenso zum Spektrum. „Gelenke nutzen sich auch durch Bewegungsmangel ab“, weiß der Osteopath, der immer wieder auf das Ausführen vollständiger Bewegungen hinweist.

In seinem Arbeitsalltag begegnet Wöhrle zunehmend Menschen mit Blockaden – der Muskeln, der Gelenke oder der Organe. Knie- und Rückenbeschwerden, Diabetes und nicht zuletzt mentale Verstimmungen sehe er ebenfalls. All diese Krankheitsbilder können Folgen mangelnder Bewegung sein.

Und das kostet. So rechnet die Bewegungsstudie der Techniker Krankenhasse 2016 exemplarisch vor: „Knapp sieben Prozent der Beschäftigten werden im Jahr aufgrund einer Rückendiagnose krankgeschrieben. Der Ausfall dauert statistisch gesehen 17,5 Tage. Das bedeutet nicht nur langwierige Beschwerden für die Patienten, sondern auch Arbeitsausfall für die Unternehmen und damit verbundene Zusatzkosten.“

„Rücken“ kostet 16 Milliarden Euro

Schätzungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zufolge lägen die Kosten für den Ausfall von Produktion und Bruttowertschöpfung jährlich bundesweit bei rund 163 Milliarden Euro, davon würden gut 16 Milliarden auf Rückenbeschwerden entfallen. Für einen mittelständischen Betrieb mit 140 Mitarbeitern bedeute dies pro Jahr rund 175 rückenbedingte Fehltage. Die Diagnose „Rücken“ koste ihn also mehr als eine halbe Stelle.

„Wir sollten eigentlich permanent in Bewegung sein. Jede Art ist gut“, empfiehlt Bernd Altenhöfer mit Blick auf alle Einsteiger. „Motivieren kann man dazu aber nur durch Spaß und mit viel Abwechslung.“ Der Gewinn an Lebensqualität sei am Ende enorm. Viele, die schon regelmäßig Sport trieben, würden häufig die Mobilisation vernachlässigen. Das ergänzende Stretching, wie es Yoga oder Faszien-Fitness hinsichtlich Sehnen, Bändern und Gelenken böten, sei nicht zu unterschätzen.

Allen, die bereits viel Sport trieben, rät er eine regelmäßige Kontrolle durch den Profi. „Stimmt die Technik oder haben sich kleine Fehler eingeschlichen? Wird die Regeneration eingehalten?“ Letztere funktioniere aktiv mittels Massage, Dehnung oder über ein leichteres Training. Passiv empfiehlt Altenhöfer ergänzend Sauna, und Entspannungsübungen.

Universalmittel Bewegung

Hans-Otto Wöhrle plädiert ebenfalls für eine ganzheitliche Sicht. Ein Training bestehe nicht nur aus „Herz-Kreislauf“, sondern müsse auch die Stärkung der Muskulatur einschließen. Kraft sei das A und O für eine gute Gesamtkonstitution. Diese dürfe auch im Alter nicht vernachlässigt werden, erhält sie doch die eigene Vitalität, Mobilität und damit eine lange Selbstständigkeit. „Körper und Geist müssen harmonieren“, sagt der Heilpraktiker.

Bewegung ist für den einstigen Profi-Sportler eine Art Universalmittel. „Sie stärkt das Herz, führt zu einer besseren Versorgung der Gelenke. Sie gelangt bis in die Organe, deren Funktion ohne sie eingeschränkt wäre, und sogar bis in die Zelle, die abstirbt, wenn sie nicht mit Blut versorgt wird.“ Der passionierte Sportler wünscht sich einen Abbau der Scheu vor Sport – auch in Krankheitssituationen. „Die Bewegungslosigkeit schadet mehr, als die Aufrechterhaltung – auch unter moderatem Schmerz.“

Sich etwas Gutes zu tun, da sind sich Wöhrle und Altenhöfer einig, koste nichts. Die eigene Analyse der Gewohnheiten helfe. Welche Wege gehe ich zu Fuß? Wann wird der Aufzug benutzt? Die Experten wissen jedoch: „Der Mensch ist von Natur aus faul.“ Wer sich bewegt, der tut aber nicht nur sich, sondern dem Geldbeutel aller etwas Gutes.

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