Wie menschlich ist der Ärztealltag?

Forderung: Philosophicum als festes Wahlfach in der humanmedizinischen Ausbildung

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Foto: Michaela Schneider

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Der Dienst an der Menschlichkeit ist seit Jahrtausenden Kernaufgabe des Arztes, sagt Dr. Thomas Bohrer (Bild links), Leiter der Sektion Thoraxchirurgie der Sozialstiftung Bamberg.

Am Anfang stand der Eid des Hippokrates. Und ein Teil des Gelöbnisses in der heutigen Berufsordnung für Ärzte lautet: „Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand gelobe ich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen.“

Doch wie human ist die Humanmedizin in einer Zeit, in der der Klinikalltag beherrscht wird von Vergütungssystemen, Ökonomisierung und Zeitknappheit?

Professor Dr. Johann-Heinrich Königshausen (Bild Mitte) vom Institut für Philosophie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg versucht sich an einer Abgrenzung der Humanmedizin von der Veterinär- und der Onlinemedizin.

Der Veterinärmediziner arbeite vergleichbar wie der Humanmediziner – doch mit einem wesentlichen Unterschied: Der Mensch sei nicht nur ein biologisches Wesen, sondern zudem ein Kulturwesen. Laut Königshausen steht eine Erkrankung deshalb immer auch im Lebenskontext des Patienten.

Auch verweist er auf ein Online-Portal, hier heißt es mit Blick auf eine Behandlung bei vorzeitigem Samenerguss: Ein zertifizierter Arzt stehe bei der Behandlung zur Seite, ohne dass ein womöglich als peinlich empfundener persönlicher Kontakt nötig sei.

Medizin wird anonymisiert, sie wird zum reinen Reparaturbetrieb ohne menschlichen Kontakt, reflektiert Königshausen. Fazit des Professors: „Es sind nicht die modernen diagnostischen und therapeutischen Instrumente, die die besondere Handhabe des modernen Arztes auszeichnen.“

Vielmehr sei es die alte, fast verlorene und heute nicht ausreichend an der Universität gelehrte Kunst, ein Patientengespräch zu konzipieren und zu führen. Auf den ganzen Menschen einzugehen und auch mitfühlend zu sein.

„Nicht überall, wo human draufsteht, ist auch der Inhalt human“, sagt auch Pierre-Carl Link (Bild rechts), Mitarbeiter am Institut für Sonderpädagogik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, und fordert mit dem Blick über den Tellerrand auf die Legislative: „Wir müssen uns ständig fragen, was ist human?“

Ist es human, wenn wir beispielweise mit der Sprache „etikettieren“ und mit der Begrifflichkeit entmenschlichen. Nachdenklich stimme etwa, wenn in den USA Gesetze für Sexualstraftäter von Juristan als „Sexual-Predator Laws“ („Raubtiergesetze“) bezeichnet werden.

Welche Schlüsse ziehen die Organisatoren des Bamberger und Würzburger Philosophicums aus ihren Erkenntnissen? Sie kritisieren, dass die naturwissenschaftliche und ökonomieorientierte Ausbildung von Ärzten elementare und notwendige Fragen in der Medizin unberücksichtigt lasse. Das war nicht immer so: Über Jahrhunderte beinhaltete die Ausbildung abendländischer Ärzte auch philosophische Fragestellungen.

„Bei einer strukturierten philosophische Ausbildung gehören Medizinstudium und ärztliche Praxis zusammen“, betonen die Experten. Deswegen verfolgen sie das Ziel, ein Philosophicum fest in die humanmedizinische Ausbildung als Wahlfach zu integrieren.

Über das Würzburger Philosophicum:
Seit dem Sommersemester 2010 gibt es wieder ein Philosophicum an der Universitätsklinik Würzburg. Inhalte des Wahlfaches, das übrigens mit Studenten zusammen konzipiert und durchgeführt wird, sind unter anderem die Theorie der Medizin, Erkenntnistheorie und spezifische ethische Fragestellungen für die ärztliche Praxis. Kennzeichnend ist vor allem auch eine lebendige Diskussionskultur.
Zielsetzung: Die angehenden Mediziner sollen motiviert werden, über ihr Fach, den Menschen und ihr Tun nachzudenken – über reine naturwissenschaftliche Grundlagen hinaus.

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