Wenn etwas auf die Nerven geht

Neuropathie – was ist das? Im Gespräch mit PD Dr. Peter Kraft

0

Nerven leiten elektrische Reize. Auch diesen Umstand macht sich die Diagnostik zunutze“, sagt der Chefarzt der Neurologie am Klinikum Main-Spessart, Dr. Peter Kraft. Foto: ©Klinikum Main-Spessart

Oft beginnt es mit einem pelzigen oder tauben Gefühl in Beinen oder Armen. Es kribbelt, brennt oder sticht. Das Schmerz- und Temperaturempfinden ist anders als sonst, und es verlieren auch die Muskeln an Kraft. Anzeichen wie diese können auf eine Neuropathie hindeuten.

„Neuron heißt Nervenzelle. Pathie heißt Schaden. Zusammengesetzt bedeutet das, dass die Nervenzelle respektive der Nervenzellfortsatz einen Schaden hat. Oft sogar mehrere Nerven. Dann spricht man von Polyneuropathie“, erklärt Dr. Peter Kraft.

Geschädigt würden hierbei die peripheren Nerven, das heißt, die Nerven außerhalb des zentralen Nervensystems: „Die meisten peripheren Nerven sind gemischte Nerven. Es sind motorische Nervenfasern dabei, zuständig für die Bewegung, sensible, die wichtig für die Empfindung und vegetative, die unter anderem für die Regulation der Blutgefäße verantwortlich sind. Alle drei Nervenfaserqualitäten können betroffen sein“, so der Chefarzt der Neurologie am Klinikum Main-Spessart in Lohr.

Es gebe jedoch auch Erkrankungen, bei denen klinisch zum Beispiel nur motorische Nervenfasern betroffen sind. Um sich ein genaueres Bild zu machen, gibt es verschiedene Tests. Dazu gehören etwa die Spitz-/Stumpf- oder Kalt-/Warm-Diskrimination, mit der die Sensibilität an bestimmten Körperstellen überprüft wird, sowie die Zwei-Punkt-Diskrimination, bei der der Patient erkennen muss, ob ein oder zwei Punkte berührt werden.

Die Reflexe und die Kraftprüfung vermitteln zusätzliche Informationen über die Verteilung und das Ausmaß der Nervenschädigung. Nerven leiten elektrische Reize. Auch diesen Umstand macht sich die Diagnostik zunutze. So kann die Funktionalität der peripheren Nerven mit der sogenannten Elektroneurographie (ENG) überprüft werden.

Der Arzt misst damit, „wie viel Strom“ am Ziel ankommt und wie schnell elektrische Impulse durch die Nerven geleitet werden. „Damit können wir Rückschlüsse auf die Art der Läsion ziehen“, so Dr. Peter Kraft. Eine Untersuchung der Muskeln (Elektromyographie) kann zusätzliche diagnostische Hinweise geben.

Wie kommt es überhaupt zu einer Polyneuropathie? Zu den wesentlichsten Auslösern zählen Alkohol und Diabetes mellitus. Zu den selteneren Ursachen zählen hereditäre, also erblich bedingte, aber auch entzündliche Neuropathien, die meistens autoimmun bedingt sind. Eine weitere Möglichkeit sind Tumorerkrankungen (paraneoplastische Neuropathie).

Als Ursache kommt außerdem ein Vitaminmangel (zum Beispiel Vitamin B12) infrage – ausgelöst etwa durch Unterernährung im Zusammenhang mit Alkoholismus, aber auch altersbedingt oder durch eine konsumierende Krankheit wie einen Tumor. Eine Rolle spielen kann außerdem ein Resorptionsproblem im Magen-Darm-Trakt.

Was aber macht eine Neuropathie so gefährlich? „Sind die sensiblen Nervenfasern betroffen, kann das Schmerzempfinden gestört sein. Schmerz schützt den Körper und zeigt an, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Fehlt dieses Warnsignal können Verletzungen unbemerkt bleiben“, fasst Dr. Kraft zusammen.

„Das kann zum Beispiel an den Füßen im schlimmsten Fall zu massiven Wunden führen, die bei Diabetikern sogar in Amputationen münden können.“ Sehr häufig verursacht eine Polyneuropathie darüber hinaus eine Gangstörung, die zu Stürzen führen kann und somit ebenfalls bedrohlich ist.

Gibt es Therapien? Ja. Diese richten sich nach der Diagnose. Bei einem Alkoholmissbrauch über lange Zeit und Diabetes mellitus ist die Therapie denkbar einfach. „Man muss den Alkoholkonsum lassen. Zum anderen muss der Diabetes mellitus optimal eingestellt werden. Die Schäden, die schon gesetzt wurden, zeigen allerdings kaum eine Rückbildungstendenz. Man versucht in der Regel also nur, ein Fortschreiten zu verhindern.“

Im Falle eines Vitaminmangels wäre die Gabe von Vitaminen die Therapie der Wahl sowie die Bekämpfung der Mangelursache. Bei einer autoimmun-entzündlichen Polyneuropathie müsse das Immunsystem „gebremst“ werden. „Die Therapie der Wahl ist hier in der Regel Cortison. Manche Neuropathien reagieren hierauf aber explizit nicht. Hier kommt eine Blutwäsche (Plasmapherese) oder eine Immunglobulingabe (Infusion von Antikörpern) infrage.“

Neuropathische Schmerzen könnten zudem rein symptomatisch behandelt werden. Gibt es eine Prävention? Bei den beiden häufigsten Formen gilt: erstens, kein Alkoholmissbrauch. Und zweitens: „Prinzipiell kann man durch seine Lebensgewohnheiten die Wahrscheinlichkeit reduzieren, dass Diabetes mellitus auftritt“, sagt der Arzt.

Darüber hinaus gebe es wenige Möglichkeiten der Prophylaxe.

Share.