Wenn ein Sinn verloren geht…

Prof. Dr. Martin Nentwich über vielfältige Ursachen schlechten Sehens

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Dr. Martin Nentwich habilitierte über augenärztliche Versorgung in armen Ländern. Dabei kooperierte seine damalige Fakultät die Ludwigs-Maximillians-Universität in München (LMU) mit Nairobi (Kenia). Derzeit ist ein ähnliches Projekt mit Würzburg und Tansania angedacht. Prof. Nentwich ist Vorstandmitglied des Deutschen Komitees zur Verhütung von Blindheit e.V.. Foto: Uniklinikum Würzburg

„Das Auge war vor allen anderen das Organ, womit ich die Welt fasste“, erzählt Johann Wolfgang von Goethe in „Dichtung und Wahrheit“ aus seinem Leben (1749 – 1832). Sehen ist auch heute für die meisten Menschen der wichtigste Sinn. Mit den Augen lachen und weinen, flirten, taxieren, beurteilen und verurteilen wir. Nicht von ungefähr kommt der Spruch: „Wenn Blicke töten könnten …!“

Die Funktionsfähigkeit der Augen beeinflusst maßgeblich die Wahrnehmung der Welt und den Umgang mit anderen Menschen. Daher beeinträchtigt im Umkehrschluss eine Sehschwäche oder gar der Sehverlust das tägliche Leben und Erleben massiv.

Kurzsichtigkeit steigt

Umso beunruhigender ist es, dass die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) schätzt, dass 2050 rund die Hälfte der Weltbevölkerung kurzsichtig sein werde. „Das stimmt, dass die Zahl kurzsichtiger Patienten in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat“, sagt Prof. Dr. Martin Nentwich von der Würzburger Universitäts-Augenklinik.

Allerdings räumt er ein, dass diese Schätzung australischer Forscher auf Zahlen vorwiegend aus dem asiatischen Raum beruhe, und nicht unbedingt auf Europa übertragbar sei. „Kinder in Singapur beispielsweise machen durchschnittlich 16 bis 17 Stunden in der Woche Hausaufgaben, deutsche Kinder nur fünf bis sechs Stunden die Woche“, so der Experte aus dem UKW. Was hat aber nun der „fehlende Fleiß“ deutscher Schüler mit ihren besseren Augen zu tun?

Bei Licht betrachtet sehr viel und zwar im wahrsten Sinne des Wortes – denn den Kindern in Singapur fehlte es laut der Studie der University of New South Wales an Tageslicht, da sie nur zwei Mal täglich Tageslichtexposition hatten (auf dem Weg zur Schule und auf dem Weg nach Hause). „Tageslicht führt zu einer Dopamin-Freisetzung und dieses mindert das Augapfelwachstum. Ein vermehrtes Längenwachstum des Auges wiederum ist für Kurzsichtigkeit maßgeblich verantwortlich“, so der Lehrbeauftragte für Augenheilkunde an der Universität Würzburg.

Aber Deutschland dürfe keinesfalls die Augen vor dem Problem verschließen, denn auch hier werde, aufgrund intensiver Nutzung von Smartphone & Co, Myopie, also Fehlsichtigkeit, bei Kindern stark zunehmen (nach aktuellen Schätzungen sind in Deutschland derzeit zehn Prozent der Dreijährigen und 50 Prozent der Achtjährigen regelmäßig online), so die DOG.

Nur zwei Augen

Auf Augenhöhe mit den vielfältigen Ursachen schlechten Sehens ist Prof. Nentwich, Sektion Strabologie, Kinderophthalmologie, Neuroophthalmologie im UKW allemal, da er in seiner täglichen Praxis mit Sehstörungen von A bis Z konfrontiert wird.

Nur zwei Augen – aber ein riesengroßes Fach, das sich auftut. Angefangen von Rot-Grün-Blindheit, die in der Regel angeboren ist und häufiger bei Männern auftrete, da sie auf einem X-Chromosom sitzt – und als Besitzer von nur einem X, ist man als Mann da klar im Nachteil. Mit der Rot-Grün-Sehschwäche müsse man leben, betont der Mediziner.

Früh erkannt, könne man sich damit aber gut arrangieren. Anders sei dies bei der altersbedingten Makuladegeneration (AMD) … man stelle sich vor: Dort, wo man gerade hinschaut, ist ein grauer Fleck, die Peripherie außenherum ist sichtbar. Nur das, worauf der Fokus liegt nicht …! „Bis vor 15 Jahren konnte man gegen AMD nichts tun“, so Nentwich. Heute könne man durch Spritzen direkt ins Auge (diese müssten zunächst alle vier Wochen verabreicht werden) bei vielen Patienten das Fortschreiten der AMD aufhalten und manchmal sogar eine Besserung erreichen, wenn die feuchte Form der AMD vorliegt.

Nicht wiederherstellbar ist verlorene Sehleistung, die durch das Glaukom, den Grünen Star, verursacht wird. Das tückische an dieser Erkrankung ist, dass der Patient im frühen Stadium selbst nichts merkt. Wenn eine Sehverschlechterung durch den Grünen Star auftritt, sei es schon zu spät, so der Fachmann: „Der Sehnerv ist dann zu großen Teilen schon abgestorben und die schlechte Sehleistung bleibt.“

Hier könne nur über eine regelmäßige Messung des Augeninnendrucks zusammen mit der Begutachtung des Sehnervs und des Augenhintergrunds (spätestens ab 50 Jahren) durch den Augenarzt vorgebeugt werden. Der Wahrheit ins Auge sehen und regelmäßig zur Augenkontrolle (ein Mal pro Jahr) sollten auch Patienten mit Diabetes. Diabetische Retinopathie ist eine durch die Zuckerkrankheit verursachte Erkrankung der Netzhaut, bei der immer mehr kleine Blutgefäße geschädigt werden und absterben (Mikroangiopathie), was in letzter Konsequenz zur Erblindung führt. Die präventive Maßnahme zur Vermeidung, sei hier laut Dr. Nentwich, eine gute therapeutische Einstellung des Patienten mit Diabetes.

Wieder klar sehen

Foto: ©depositphotos.com/@Alexilus

Man möchte sich auf das, was man sieht, verlassen können. Daher unterziehen sich, der Aussage von Prof. Nentwich zufolge, rund 700.000 Menschen in Deutschland jährlich einer Grauen-Star-Operation. Die altersbedingte Trübung der Linse sei nicht aufzuhalten, aber könne „rückgängig“ gemacht werden.

„Die OP macht sogar bei hochbetagten und dementen Patienten Sinn, da sie Sehleistung und damit Lebensqualität zurückgewinnen können“, sagt der Augenheilkundler. Hauptprobleme bei Grauem Star seien die Abnahme der Sehschärfe, des Kontrastsehens und der Farbwahrnehmung, meist gekoppelt mit einer zunehmenden Blendempfindlichkeit.

Bei der Grauen-Star-OP werde die eigene Linse, die für den getrübten Blick verantwortlich sei, durch eine künstliche Linse ersetzt, was in der Regel zu guten Funktionsergebnissen führe, sprich zu einem klareren Blick auf die Dinge. Was vorher die Sicht vernebelt hat, ist ausgeräumt und die Welt ist wieder bunter. Was man nicht aus den Augen verlieren dürfe, sei die Tatsache, dass bei manchen Patienten, so viele Begleiterkrankungen zusätzlich zum Grauen Star da seien, dass ein hundertprozentige Wiederherstellung der Sehschärfe nicht in jedem Fall möglich sei, so der Professor.

Die Presbyopie, im Volksmund auch Altersweitsichtigkeit genannt, trifft unaufhaltsam jeden ohne Ausnahme. Der Zahn der Zeit nagt hier an der Akkommodation, „die wir alle ständig vollziehen, wenn wir vom Blick in die Ferne auf etwas in der Nähe umschwenken“. Im Auge spanne sich da ein Muskel an, so Martin Nentwich, was bewirke, dass die Linse runder werde. Die größere Krümmung, schaffe dann ein schärferes Bild in der Nähe. Je älter man werde, desto unflexibler werde die Augenlinse.

Mit Ende 40 fange es in der Regel an (mit der ersten Lesebrille), Mitte 60 sei man dann schon bei zwei bis drei Dioptrin …! Selbst mein Lieblingszitat von Antoine de Saint-Exupéry hilft da nicht weiter: „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar!“ Man möchte schon beim Hinschauen, klar sehen, egal wie alt man ist! Manchmal muss man aber auch ein Auge zudrücken, oder eben nicht dauernd auf weiße Flächen schauen. Dann bemerkt man die fliegenden Mücken (Mouches volantes) nicht, die allenthalben auch eine Alterserscheinung sind.

„Der Glaskörper des Auges besteht zu 98 Prozent aus Wasser und zu zwei Prozent aus Eiweiß. Je älter man wird, desto mehr Eiweiß klumpt sich zusammen und so entstehen die ‚Mücken‘. Diese sind jedoch harmlos. Einfach nicht beachten.“ Leichter gesagt als getan, vor allem auf einer White-Party …

Wenn ich jetzt höre, man ginge mit zunehmendem Alter auch nicht mehr auf White-Partys, dann beginnt bei mir das Augenlid ganz wild zu zucken. Das hat übrigens nichts mit dem Alter zu tun, sondern mit Stress, wenig Schlaf und viel Arbeit. Ist aber laut Dr. Nentwich ebenfalls harmlos, wenn auch lästig. Abwarten und Teetrinken sei hier in der Regel die Lösung, und dabei Entspannen.

Bei einem Augenarzt vorstellen sollten sich aber jene Patienten, bei denen von einem Tag auf den anderen plötzlich viele neue Trübungen auftreten („Rußregen“), vor allem, wenn gleichzeitig auch ein „Blitzen“ im Auge wahrgenommen wird, da dies Anzeichen für eine mögliche Netzhautablösung sein können.

Um entspannt in die Zukunft blicken zu können, muss man manchmal nur seinen Blick schweifen lassen, und voilà, da sind sie: die schönen Dinge des Lebens!

Das Interview mit Prof. Dr. Martin Nentwich, Sektion Strabologie, Kinderophthalmologie, Neuroophthalmologie im UKW, führte Lebenslinie-Chefredakteurin Susanna Khoury.

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