Leben in einer Box

Wie Spenderorgane zu ihren Empfängern gelangen

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Siegfried Tomiczek ist seit 15 Jahren als Rettungssanitäter und seit 10 Jahren als Erstfahrer für Organtransporte bei den Johannitern im Einsatz. Foto: Die Johanniter

797 Spender haben 2017 in Deutschland mit insgesamt 2.594 Organen posthum Leben gerettet. Das klingt beeindruckend – doch laut des Jahresberichts der Stiftung Eurotransplant wurden 9,5 Prozent weniger Organe gespendet, als 2016. Dem gegenüber steht ein rund drei Mal höherer Bedarf.

Die sinkende Spendebereitschaft ist für betroffene Patienten dramatisch. Damit sinkt ihre Chance auf eine lebensrettende Transplantation. Siegfried Tomiczek hat von diesem Rückgang nichts gemerkt: Er war auch 2017 circa zwei Mal pro Monat viele Stunden auf Autobahnen unterwegs, um einen wichtigen Beitrag zu zahlreichen Transplantationen zu leisten: Er sorgt dafür, dass entnommene Herzen, Lungen und Lebern unbeschadet und so schnell wie möglich bei den Empfängern ankommen.

Seit bald zehn Jahren ist der 56-Jährige als sogenannter Erstfahrer für die Johanniter in Würzburg tätig, die im Auftrag der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) im Raum Unterfranken den Transport von Organen von Spender- zu Transplantationsklinik übernehmen.

„Ich bin Tag und Nacht in Bereitschaft, denn ein Organtransport kann jederzeit nötig sein.“ Damit er diese ehrenamtliche Tätigkeit übernehmen kann, hat sein Arbeitgeber ihn hierfür freigestellt – anfallende Minusstunden muss der Maschineneinrichter wieder reinarbeiten.

„Wenn mein Telefon klingelt, ist immer absolute Eile angesagt“, sagt Tomiczek, „denn die Spenderorgane dürfen nicht zu lange von der Durchblutung getrennt sein.“ Zum Teil sind es nur wenige Stunden, die für den Transport bleiben. Denn wird die sogenannte Ischämiezeit (Minderdurchblutung oder vollständiger Durchblutungsausfall) überschritten, können Organe unbrauchbar werden.

Doch bis der Anruf bei dem Familienvater eingeht, ist schon einiges passiert: Hinter einer Organtransplantation steckt eine ausgeklügelte Logistik, an der viele Menschen beteiligt sind. „Erst muss geklärt werden, ob der betreffende Patient als Organspender infrage kommt. Ein Organspendeausweis spart hier wertvolle Zeit“, weiß Tomiczek. Andernfalls müssen die Angehörigen über diese Frage entscheiden.

Eine Entnahme erfolgt erst, wenn zwei Ärzte unabhängig voneinander den Hirntod in drei Stufen zweifelsfrei feststellen. Dann wird anhand von Gewebeproben im Labor untersucht, ob das Organ in Ordnung ist. Es kann durch Medikamenteneinnahme oder Drogenmissbrauch vorbelastet sein, Gerinsel oder Verkrustungen aufweisen.

„Da geht man lieber auf Nummer sicher, bevor man Probleme beim Empfänger riskiert“, berichtet Tomiczek.

Ist das Organ transplantationsfähig, ermittelt ein Koordinator der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), der direkt vor Ort in der Spenderklinik das Entnahmeteam unterstützt, über die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant einen geeigneten Empfänger. Steht fest, wer das Organ erhalten soll, wird entschieden, ob es mit dem Auto, einem (Charter-) Flugzeug oder, in seltenen Fällen, mit dem Helikopter oder per Bahn transportiert wird.

„Das ist abhängig von der Entfernung, dem Gesundheitszustand des Empfängers und der Ischämiezeit des Organs“, erläutert Tomiczek, „aber auch der wirtschaftliche Faktor spielt eine Rolle.“ Es ist soweit: Das Bereitschaftshandy von Siegfried Tomiczek klingelt und er erhält den Auftrag, eine Leber und eine Niere an der Uni-Klinik Würzburg abzuholen und ins Klinikum rechts der Isar nach München zu bringen.

Nun muss er genügend Fahrzeuge und Fahrer organisieren: „Zehn- bist Sechzehnstunden-Einsätze sind mit Fahrt- und Wartezeiten keine Seltenheit, das ist alleine viel zu anstrengend und auch gefährlich, zumal wenn wir mit Blaulicht fahren“. Über eine WhatsApp-Gruppe fragt er bei rund 20 Kollegen um Unterstützung an und erhält in kurzer Zeit ein „Ja“ oder „Nein“ als Rückmeldung.

Organtransporte kann nur fahren, wer die Ausbildung für Sonderrecht, also Fahren mit Blaulicht und Sirene hat. Die habe leider kein Taxifahrer, lacht Tomiczek. „Beendet ist mein Job, wenn ich die Box an der Schleuße zum OP abgegeben habe.“

In dieser unscheinbaren Styroporbox liegt – konserviert, steril verpackt und mit Eis gekühlt – ein Herz, eine Niere oder eine Lunge.

Quellen: www.johanniter.de, www.dso.de

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