Konzert der Stressoren

Dr. Peter Ohnsorge: Warum es wichtig ist, sich vor Umwelthormonen zu schützen

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Dr. Peter Ohnsorge praktizierte lange Jahre in Würzburg als Umweltmediziner. Foto: Pat Christ

Karotten, Tomaten, Äpfel oder Orangen lose zu kaufen ist sinnvoll, weil die Umwelt mit der immensen Plastikbelastung kaum mehr fertig wird. Noch dazu kommt: „In Plastiktüten können sich auch hormonaktive Substanzen verstecken“, warnt der Würzburger Umweltmediziner Dr. Peter Ohnsorge.

Diese können das menschliche Hormonsystem empfindlich stören: „Das geschieht im täglichen Leben andauernd.“ Fatal an der Problematik der Umwelthormone sei vor allem die Vielfachbelastung. Besonders gefährlich sind nach Dr. Ohnsorges Worten Weichmacher, die Kunststoffe geschmeidiger machen sollen. Die kommen nicht nur in Alltagswaren, sondern sogar in medizinischen Produkten vor: „Etwa in Infusionsschläuchen.“

Gerade das ist für den Umweltmediziner bedenklich, sind es doch von vornherein geschwächte Patienten, die auf diese Weise mit Weichmachern in Kontakt kommen. Niemand kann heute mehr endokrinologisch wirksame Substanzen komplett vermeiden, gibt der Mediziner zu.

Der Einsatz gerade von Weichmachern sei viel zu selbstverständlich geworden. Jeder einzelne muss also schauen, wo er sein Risiko vermindern sollte und wo er es auch tatsächlich vermindern kann. Beim Lebensmitteleinkauf gelingt dies noch am ehesten. Statt im Supermarkt zur verpackten Gurke zu greifen, kann man Gemüse beispielsweis auf dem Markt lose kaufen.

Ohne überflüssiges Plastiktütchen wandert es von der Waage direkt in den mitgebrachten Korb. Umwelthormone zu vermeiden, ist Ohnsorge zufolge wichtig, weil die Substanzen krank machen und die Fruchtbarkeit verringern können.

Der Mediziner verweist auf das Bundesumweltamt, das ebenfalls vor sogenannten Endokrinen Disruptoren (ED) warnt. Laut der Behörde liegt es sehr wahrscheinlich an Umwelthormonen, dass immer mehr Menschen Prostata-, Hoden- und Brustkrebs bekommen. EDs sollen auch eine negative Rolle bei Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes spielen, überdies werden sie als Mitverursacher von Alzheimer und Demenz diskutiert.

Umwelthormone spielen laut Dr. Ohnsorge im immer größeren Konzert der Stressoren mit: „Wir müssen uns heute mit einer Vielzahl von physikalischen, biologischen, chemischen und psychosozialen Belastungen auseinandersetzen.“

Alles kann sich auch auf das Hormonsystem auswirken. Umwelthormone sind dann besonders negativ, wenn der Tag-Nacht-Rhythmus ohnehin gestört ist – Beispiele sind Schichtarbeit oder exzessives Feiern. Besonders schädlich wirkt sich die Koppelung von Umwelthormonen und gestörtem Tag-Nacht-Rhythmus auf das jugendliche Hormonsystem aus.

Vieles deutet laut Dr. Ohnsorge darauf hin, dass Teenager deshalb immer früher in die Pubertät kommen, weil sie zu vielen Umwelthormonen ausgesetzt seien. Das Bundesumweltamt sieht nicht zuletzt Zusammenhänge zwischen Verhaltensauffälligkeiten wie Autismus und ADHS und der vermehrten Aufnahme von Umweltchemikalien mit hormoneller Wirkung.

INFO: Umwelthormone
Als „Umwelthormone“ werden Substanzen bezeichnet, die durch Veränderung des Hormonsystems die Gesundheit schädigen können, wenn sie in einer wirksamen Dosis in den Körper gelangen. Hierzu zählen langlebige organische Schadstoffe (POPs), etwa das Pflanzenschutzmitteln Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT), oder Industriechemikalien (zum Beispiel Polychlorierte Biphenyle, PCB) sowie die hochgiftigen Dioxine und Furane, die als unerwünschte Nebenprodukte in Produktions- und Verbrennungsprozessen entstehen. Auch bei einigen Phthalaten besteht der Verdacht einer umwelthormonellen Wirkung. Phthalate werden für die Herstellung von Weich-PVC verwendet und können in Produkten wie Bodenbelägen, Tapeten, kunststoffbeschichteten Verpackungsmaterialien, Kinderspielzeug, Lacken und Kosmetika vorkommen.

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