Ich bin billig, kauf mich!

Wie das Gehirn Kaufentscheidungen beeinflusst – Im Gespräch mit Prof. Dr. Bernd Weber

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„Kaufentscheidungen werden im Gehirn getroffen. Körperliche Zustände wie Stress, Hunger, Schlafmangel, Dunkelheit oder Erregung variieren und das wiederum nimmt Einfluss auf die Entscheidung“, sagt Neuroökonom Prof. Dr. Bernd Weber. Foto: ©Universität Bonn

Wer schon einmal hungrig einkaufen gegangen ist, weiß, dass Kaufentscheidungen nicht unbedingt von der Vernunft getroffen werden. Hunger, Schlafmangel, Erregung, Dunkelheit, Hormonproduktion, mit anderen Worten Bio-Marker, beeinflussen das Kaufverhalten. Lebenslinie hat sich mit Professor Bernd Weber, Vorstandsmitglied des Center of Economics and Neuroscience der Universität Bonn über die relativ junge Disziplin Neuroökonomie unterhalten.

Hier wird wissenschaftlich nachgewiesen, wo im Gehirn Entscheidungen getroffen werden und wie diese zustande kommen. Dies könne beispielsweise die Zukunft des Neuromarketings revolutionieren, so der Leiter der Abteilung Neuroimaging der Life & Brain GmbH, Professor Weber.

Lebenslinie (LL): Wo findet eine Kaufentscheidung im Gehirn statt?
Professor Bernd Weber (BW): „Es gibt im Gehirn ein Netzwerk von Hirnstrukturen, die bei Entscheidungen – so auch bei Kaufentscheidungen – involviert sind. Zum einen, Strukturen, die dem sogenannten Belohnungs- oder Bewertungsnetzwerk zuzuordnen sind. Diese Strukturen bewerten Optionen, die wir kaufen möchten und signalisieren etwa, ‚Wie gerne möchte ich das haben?‘, oder ‚Wie viel ist es mir wert?‘. Zudem spielt beim Kaufprozess natürlich der Preis eine Rolle. Hier scheint vor allem die sogenannte Inselregion des Gehirns involviert zu sein, die auch bei Schmerzverarbeitung eine Rolle spielt. Dies wurde einmal etwas plakativ ‚Bezahlschmerz‘ genannt. Diese beiden Systeme scheinen relativ automatisiert in Entscheidungsprozesse involviert zu sein. Daneben können wir aber durch Selbstkontrolle, quasi bewusst in den Prozess eingreifen“.

LL: Durch welche Faktoren intern (Körper) und extern (Rabatte, Werbestrategien) wird diese maßgeblich beeinflusst?
BW: „Dies hängt sehr von den Gütern ab. Prinzipiell haben wir natürlich unterschiedliche Präferenzen. Am leichtesten intuitiv nachvollziehbar ist das wahrscheinlich bei Nahrungsmitteln, für die wir unterschiedliche Vorlieben je nach Tageszeit oder etwa Hungerzustand haben. Diese werden stark durch unsere Biologie beeinflusst. Auf der anderen Seite reagiert unser Gehirn auf Signale von außen, die unsere Entscheidung mitverantworten: schöne Verpackungen, eine interessante Geschichte oder das Label auf den Produkten. Wir kaufen quasi die Erwartungen zu dem Produkt gleich mit“.

LL: Wann funktionieren diese Trigger und wann nicht?
BW: „Diese Trigger müssen erlernt sein. Die Assoziation muss intuitiv erfolgen, was durch ständige Wiederholung (wie etwa durch Marketing) erfolgen kann. Menschen scheinen sich aber in der Anfälligkeit für solche Signale zu unterscheiden“.

LL: Gibt es den mündigen Verbraucher oder ist er ein Mythos?
BW: „Dies ist eine Frage der Definition.
Prinzipiell kann man sagen, dass viele Aspekte, die diesem Menschenbild zugrunde liegen, nicht mit biologischen Ansätzen vereinbar sind. Während das Bild des mündigen Verbrauchers davon ausgeht, dass mehr Information zu besseren Entscheidungen führen müssten, ist inzwischen klar, dass ab einem bestimmten Ausmaß, Informationen vom Gehirn nicht mehr sinnvoll verarbeitet werden können und eher den gegenteiligen Effekt erzielen“.

LL: Konsum ist Macht – durch Kaufverhalten kann man beispielsweise Nachhaltigkeit, Tierhaltung oder menschenwürdige Produktionsbedingungen in anderen Ländern mitbestimmen. Warum nutzen nur wenige Verbraucher diese Möglichkeit der Einflussnahme, wodurch ‚ich bin billig, kauf´mich‘ ohne Rücksicht auf Verluste, wunderbar greift?
BW: „Der Verbraucher hat prinzipiell eine große Macht durch seine Konsumentscheidungen. Auf der anderen Seite, tendieren Menschen eher dazu, den kurzfristigen Nutzen zu sehen, als über langfristige Konsequenzen (die auch noch unsicher sind) nachzudenken. Dies macht es sehr schwer, so etwas Entferntes wie Produktionsbedingungen, mit denen die meisten Menschen keine konkreten Erfahrungen verbinden, in Entscheidungen einfließen zu lassen“.

LL: Wie kann man sich vor Fremdbestimmung bei der Kaufentscheidung schützen? Kann man das überhaupt?
BW: „Dies kann man bis zu einem gewissen Maße schon. Allerdings ist es anstrengend! Wir müssen versuchen, uns Ziele zu setzen, die möglichst konkret sind. Der klassische Einkaufszettel hilft hier sehr, ‚zufällige‘ Käufe zu verhindern. Zudem nützt es, eine gewisse Routine bei Kaufentscheidungen zu entwickeln“.

LL: Gibt es Menschen (Zielgruppen), die besonders empfänglich sind, oder betrifft es alle?
BW: „Im Prinzip betrifft es alle Menschen. Und wie immer und überall, gibt es Menschen, die mehr oder weniger anfällig sind. So scheinen bestimmte Persönlichkeitsfaktoren hier eine Rolle zu spielen. Dies muss noch weiter untersucht werden …!“

LL: Warum locken Rabatte, Bonussysteme, „Schnäppchen, die es nur für kurze Zeit gibt“, auch den intelligentesten Verbraucher immer wieder in die „Falle“?
BW: „Ja, das ist schon erstaunlich. Obwohl man sich dieser Systeme bewusst ist, scheinen sie dennoch effektiv zu sein. Es scheint sich um stark erlernte Assoziationen zu handeln. Gerade das Thema der zeitlichen Begrenzung führt dazu, dass ein Gefühl kreiert wird, durch die Unterlassung des Kaufes etwas zu verpassen“.

LL: Andererseits zahlen manche Verbraucher gerne auch mehr, beispielsweise bei Fair­­­­­trade-Produkten, Demeter- und Biolabels. Was passiert da im Gehirn?
BW: „Diese Labels führen dazu, dass zusätzliche Erwartungen über das Produkt aufgebaut werden, die eine positive Konnotation haben. Auch wenn im Detail viele Verbraucher gar nicht wissen, wofür bestimmte Labels stehen, werten sie die Produkte auf. Im Gehirn konnten wir nachweisen, dass bestimmte Labels zu einer Erhöhung der Aktivität in den oben genannten Belohnungsregionen führen. Das wiederum ging mit einer erhöhten Zahlungsbereitschaft einher“.

LL: Ein übermächtiges Angebot (Produkttiefe) verursacht beim Verbraucher eher eine Verneinung des Kaufs. Warum ist das so und was passiert dabei im Gehirn?
BW: „Ja, das ist tatsächlich so und in Studien nachgewiesen. Während man früher dachte, dass ein höheres Angebot dazu führt, dass der Verbraucher eher das für sich passende Produkt findet, zeigen Studien, dass ein zu großes Angebot dafür sorgt, dass gar keine Entscheidung getroffen wird. Hier spielt Unsicherheit eine große Rolle. Menschen (wie auch eigentlich alle anderen untersuchten Lebewesen) mögen keine Unsicherheit. Und je größer das Angebot ist, desto mehr Zeit muss man investieren, um die subjektiv richtige Entscheidung zu treffen. Damit verbunden ist zudem, dass der Kunde erwartet, seine Entscheidung später zu bereuen, und das führt dazu, dass er lieber gar keine trifft.“.

LL: Auf welche Weise konnten Sie die Hirnaktivitäten, die bei Kaufentscheidungen eine Rolle spielen, nachweisen?
BW: „Wir haben eine ganze Reihe von Studien im Kernspintomographen durchgeführt. Dabei liegen die Versuchspersonen im Scanner und treffen dabei Entscheidungen, wie etwa, wie viel sie bereit sind, für verschiedene Produkte zu bezahlen, oder welches von zwei Produkten sie bevorzugen würden. Mithilfe der funktionellen Kernspintomographie konnten wir dabei beobachten, wie die Aktivität in den verschiedenen Regionen sich während dieser Entscheidungen veränderte“.

Das Interview mit dem Neuroökonom Prof. Dr. Bernd Weber von der Universität Bonn führte Lebenslinie-Chefredakteurin Susanna Khoury.

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