„Es ist noch lange nicht alles gut…“

Mit fast 74 Jahren schiebt der „Vater der Notfallmedizin“, Professor Dr. Peter Sefrin noch mehrmals die Woche Dienst als Notarzt

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„Am Ende ist alles gut und wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende!“. Diesen Leitsatz des irischen Schriftstellers Oscar Wilde hat sich auch der „Vater der Notfallmedizin“, Professor Dr. Peter Sefrin, auf seine Fahnen geschrieben.

Peter Sefrin - Miterfinder des bayerischen Rettungswesens

Der Rettungsdienst ist flächendeckend durchschnittlich in 8,7 Minuten am Notfallort, der Notarzt in durchschnittlich 9 Minuten. Diese Zeit müsse von Laien oder professionellen Ersthelfern vor Ort (First Responder) überbrückt werden. Foto: dpa

Mit fast 74 Jahren fährt der ehemalige Professor für präklinische Notfallmedizin an der Uni Würzburg immer noch mehrmals die Woche als Notarzt vor. Das dazugehörige Einsatzfahrzeug hat er zuhause in der Garage stehen.

Im seinem Wohnhaus befindet sich auch das Büro der Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärzte (agbn), dessen Vorsitzender er ist. Kein bisschen müde wirkt der Herausgeber des Standardwerkes der deutschen Notfallmedizin bei unserem Gespräch, obwohl er eigentlich schon seit acht Jahren im Ruhestand ist.

„Unruhestand“ wäre das passendere Wort. Er ist von Berufung Arzt und ein Macher, der es einfach nicht gut sein lassen kann… und das ist auch gut so, weil Vieles eben noch nicht gut ist! Wie zum Beispiel die Erste Hilfe-Ausbildung von Laien.

Nach einer Studie des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), so dessen Bundesarzt Sefrin, wissen 53 Prozent der Laien nicht, wie stabile Seitenlage geht und 80 Prozent können keine Wiederbelebung durchführen.

Das sind erschreckende Ergebnisse angesichts der Tatsache, dass Laien in der Regel die Ersten an einem Unfallort sind und von ihnen unter Umständen das Überleben eines Schwerverletzen abhängt.

Bei traumatischen oder internistischen Notfällen, so Professor Sefrin, sind die ersten drei bis fünf Minuten entscheidend. Wenn der Ersthelfer nicht die ersten Schritte macht, kann der Notarzt oder die Klinik das nicht mehr korrigieren.

„Erste Hilfe ist das Elementarste für die Rettung eines Menschenlebens! Man kann dabei nichts falsch machen, außer man tut nichts, das ist das Falscheste“, so der renommierte Notfall- und Katastrophenmediziner.

Auch brauche man keine Angst vor juristischen Folgen haben, da der Schutz von Ersthelfern gesetzlich verankert ist.

Was leider nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, ist das regelmäßige Auffrischen der „Ersten Hilfe“ von Laien. Bei den meisten (etwas 61 Prozent) ist der Kurs so lange her wie die Führerscheinprüfung. Glückwunsch!

Die Studie der Würzburger Uniklinik besagt weiter, dass ein Jahr nach Kursbesuch 50 Prozent des Wissens und nach zwei Jahren 70 Prozent der Kenntnisse verloren gegangen sind.

Daher hat sich Peter Sefrin dafür eingesetzt, dass Erste Hilfe bereits in den Schulen ein Thema ist („hier sind wir kurz vor der Einführung“) und, dass der derzeit angebotene Erste Hilfe-Kurs von 16 Unterrichtseinheiten (zwei Tage) auf neun (ein Tag) verkürzt wird.

Prof. Peter Sefirn

„Früher wurde der Rettungsdienst hauptsächlich zu Verkehrsunfällen gerufen. Heute machen diese gerade mal 5,4 Prozent der Notfälle aus. Fast die Hälfte (44,5 Prozent) der abgesetzten Notfälle sind internistischer Art“, sagt Dr. Peter Sefrin. Foto: DRK

Dieser neue Kurs soll ab 1. April 2015 angeboten werden. Hauptsächlich wurde der theoretische Teil reduziert: “Der Fokus wird in Zukunft auf dem Schadensereignis liegen: Was mache ich bei einer Blutung? Wie das Blut dorthin kommt (Theorie Blutkreislauf) interessiert den Laien wohl kaum“, so der Praktiker Sefrin.

In Sachen professionelle Erste Hilfe ist Würzburg Vorreiter, nicht zuletzt wegen Peter Sefrin der an der Errichtung eines Rettungswesens 1967 in Würzburg maßgeblich beteiligt war.

Heute ruft man bei einem Notfall die 112 an und in acht bis 12 Minuten ist professionelle Hilfe vor Ort. Vor 1967 war das nicht selbstverständlich!

„In Mainz und Heidelberg gab es die ersten Notärzte. Ich bin da hingefahren und hab mir das angeschaut. Dann haben wir uns vom DRK einen Rettungswagen, der im Ausland verwendet wurde, um darin zu behandeln, ausgeliehen – mit einem immensen bürokratischen Aufwand – und noch einen bei den Maltesern. Beide Wagen haben wir auf den Residenzplatz gestellt, um Reklame für Erste Hilfe zu machen. So fing alles an!“, erzählt der Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande.

Dank Sefrin hatte auch 1974 der Freistaat Bayern das erste Rettungsdienstgesetz Deutschlands bekommen.

Meine Frage, ob er nicht ein bisschen stolz sei, das alles mitinitiiert zu haben, bejaht er verlegen: „ein bisschen schon! Wir haben damals sehr viel Mühe und Herzblut in den Aufbau gesteckt.

Da diese Anstrengungen aber dazu geführt haben, dass heute in Würzburg höchste Standards im Rettungsdienst gefahren werden, war es das alles wert!“ Würzburg kann im Notfall auf einen Pool von 60 Notärzten zugreifen.

“Tagsüber sind immer drei Notärzte und fünf Fahrzeuge im Einsatz“, so der stellvertretende Vorsitzende der Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands (BAND) Sefrin.

Durch ein immer engmaschiger werdendes Netz von Helfern vor Ort (First Responder) und ein Klinik-Netz für Schlaganfall- und Herzinfarktpatienten ist Würzburg gut aufgestellt.

„Was es an modernen Entwicklungen im Rettungswesen gibt, hat Würzburg schon und auch bei den Durchführenden gibt es keinerlei Konkurrenz, weil alle unter einem Dach sind. Das ist vorbildlich!“, freut sich der Facharzt für Anästhesiologie Dr. Sefrin.

Auch meine Frage, ob man unbequem sein muss, um etwas voranzubringen, bejaht der Familienvater. „Wenn man etwas Neues durchsetzen will, muss man immer gegen etwas Etabliertes ankämpfen“, so Sefrin.

„Wir hätten nicht den Standard in Würzburg, den wir haben, wenn wir nicht unbequem gewesen wären! Ich bin auch heute noch oft mit dem Ministerium über Kreuz, weil eben immer noch nicht alles gut ist im Rettungswesen – bundesweit gesehen!“

Um neue, andere Wege zu beschreiten, muss man ausgetretene Pfade verlassen und ungeläufige Straßen betreten… im Fall Sefrin heißt das auch mit dem Blaulicht auf dem Dach des Porsches zum Unfallort zu rasen.

„Das hört sich spektakulärer an als es tatsächlich war“, kontert Peter Sefrin meine Frage nach seiner „Sturm & Drang-Zeit“ als Notarzt.

„Mein Auto war kaputt und der neue Wagen kam nicht bei. Da hat mir die Firma Porsche mit denen ich damals an einem Forschungsauftrag arbeitete, einen Wagen zur Verfügung gestellt. Meine Frau erklärte mich für verrückt, aber irgendwie war es dann nicht nur ein Übergangsfahrzeug…“, erinnert sich Sefrin schmunzelnd.

Auch die bayerische Ärztekammer bewertet die „Verrücktheiten“ des Vorzeige-Notfallmediziners als positiv: „Im hochpositiven Sinne ansteckend wirkt seine lebendige und gelebte Begeisterung für Notfall- und Katastrophenmedizin“, stand im Ärzteblatt über Sefrin zu lesen.

6-Flotte Krankenwägen

Um die Notwendigkeit eines Rettungsdienstes in Würzburg ins Bewusstsein zu rücken, initiierte Peter Sefrin in den 60er Jahren, eine Werbeveranstaltung mit einer geliehenen Flotte an Rettungswagen auf dem Würzburger Residenzplatz. Foto: Peter Sefrin privat

Und nach Erasmus von Rotterdam, dem holländischen Humanisten und Theologen sei ja bekanntlich die höchste Form des Glücks, ein Leben mit einem gewissen Grad an Verrücktheit. Und zum Berufsbild würde auch kein konformer Mensch passen, denn den genormten Notfallpatienten gibt es nicht.

Hier ist immer Improvisation, kombiniert mit gutem Handwerk und einer fundierten Aus- und Weiterbildung gefragt. „Neulich hatte ich einen Fall, den hatte ich in 50 Jahren noch nie“, sagt der erfahrene Notarzt.

Dem Patienten ging es nach Dr. Sefrins Behandlung wieder gut! Ein Beispiel für gelebte Improvisation innerhalb langjähriger Routine. Apropos langjährige Routine… so viel wie möglich Erfahrungen sammeln ist ein wesentlicher Baustein und eine solide Basis für einen guten Notarzt.

Aber das habe auch seinen Preis, so der Arzt aus Überzeugung. „Ich habe zuhause oft gehört: Du kümmerst dich nicht um deine Kinder und Ähnliches!“

Für Peter Sefrin war und ist der Arztberuf Berufung, und Feierabend gab es für ihn früher nicht und auch heute fällt es ihm schwer den Kittel auszuziehen, schon gar nicht, wenn er gebraucht wird.

„Als Klinik- oder Hausarzt hatte man früher 24 Stunden Dienst, zeitliche Beschränkungen gab es nicht. Entweder man war Arzt oder nicht“.

Er verurteile die heutige Praxis nicht, aber ein Arztwechsel nach einer Schicht bedeute immer einen Bruch in der Patienten-Behandlung.

Es sei natürlich auch positiv zu bewerten, wenn ein Familienvater um 16 Uhr zu seinen Kindern nach Hause gehen kann. Aber andererseits seine Kinder seien auch groß geworden und haben keinen seelischen Schaden aufgrund seiner Tätigkeit davon getragen, so der Vollblutmediziner.

Vieles habe sich geändert. Das sei unserer Zeit und den Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen geschuldet. Sein Bruder, der Landarzt ist, habe beispielsweise deswegen aufgehört zu praktizieren.

„Old School“ zu leben und zu praktizieren ist schwer geworden. Ein Beispiel aus der aktuellen Praxis: „Wenn sich ein Sanitäter oder Notarzt nach einer erfolglosen Reanimation noch um die Angehörigen kümmert, wird er nicht selten gehänselt und es heißt: jetzt hat er wieder seinen Sozialen und wird nicht fertig. Für mich gehören solche Gespräche zwingend zum Beruf dazu – auch wenn sie Zeit kosten!“, betont der Autor von über 300 Publikationen zum Thema Notfallmedizin.

Die Zeit spielt trotz aller Innovationen immer noch eine wichtige Rolle in seinem Beruf.

Manchmal die alles entscheidende: „Zeit ist was ganz Wesentliches. Nicht nur die Zeit bis wir am Unfallort sind, auch die Zeit bis der Patient in der Klinik ist. Aber vor allem die Zeit, bis Erste Hilfe-Maßnahmen eingeleitet werden.

Das ist die alles entscheidende Zeit!“, insistiert Sefrin. Und so schließt sich der Kreis. „Wenn wir mehr Laien mit an Bord hätten, könnten zehn Prozent der Unfalltoten – nach einer Umfrage von DRK und ADAC – gerettet werden!“

Und von daher… obwohl Vieles schon gut ist, gerade in Würzburg, kann doch Einiges noch besser werden oder um mit den Worten der österreichischen Schriftstellerin Marie Freifrau Ebner von Eschenbach zu sprechen, die mit ihren psychologischen Erzählungen zu den bedeutendsten Literatinnen des 19. Jahrhunderts zählte: „Wer aufhört besser werden zu wollen, hört auf, gut zu sein!“.

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