Die Schule mit Links meistern

Ergotherapeutin Anne Gräbner: Die Hälfte der Bevölkerung müsste eigentlich Linkshänder sein

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Foto: ©depositphotos.com/@lanych

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Archäologen gehen mit Blick auf die Form und Abnutzung von Steinkeilen davon aus, dass in der Steinzeit der Linkshänderanteil bei 50 Prozent lag. Heute dagegen ist in Statistiken von nur noch zehn bis 15 Prozent die Rede.

Hauptgrund für die drastische Abweichung: Schon früh setzt eine unbewusste Umerziehung ein – etwa, indem die Jungen und Mädchen im Kindergarten die Schere in die rechte Hand gelegt bekommen oder sich durch Nachahmung selbst umschulen.

Nach wie vor müsste aber die Hälfte der Kinder Linkshänder sein, vermutet Anne Gräbner. Seit 17 Jahren betreibt die Würzburgerin eine eigene Praxis für Ergotherapie, hat zudem eine Zusatzausbildung zur Linkshänderberaterin absolviert.

„Im Moment der Zeugung wird die Dominanz einer Hand festgelegt, das ist nichts, das sich entwickelt“, betont sie. Sei die rechte Gehirnhälfte stärker ausgeprägt, führe dies zur Linkshändigkeit – und umgekehrt.

Wer darauf achtet, kann die entsprechende Ausprägung bei Kindern erkennen, vor allem bei Spontantätigkeiten: Beim Griff zum Trinkglas, beim Würfeln, Kreiseln oder beim Ballspiel etwa. Andere Tätigkeiten wie das Halten vom Besteck, der Zahnbürste oder das Blättern in einem Buch indes sind anerzogen und geben kaum Hinweise auf die Händigkeit.

„In einer ersten Klasse nehmen Kinder einen Stift häufig in die rechte Hand, weil dies bereits unbemerkt antrainiert wurde, sie melden sich aber spontan mit dem linken Arm“, nennt die Ergotherapeutin ein weiteres Beispiel.

Dass sich die Gesellschaft dennoch auf Rechtshändigkeit eingespielt hat, ist ein historisch gewachsenes Problem. Noch bis in die 1970er Jahre wurden Kinder spätestens mit der Einschulung gezwungen, ausschließlich mit der rechten Hand zu schreiben. Mancherorts ist eine Umschulung bis heute üblich. Die aber bedeutet eine permanente Überforderung des Gehirns.

Eine Rückschulung ist in vielen Fällen möglich, bei Mädchen falle diese oft leichter, so Gräbner. Zu großer Vorsicht rät sie, wenn die Kinder bereits in die Pubertät kommen oder in einer intensiven Bildungsphase stecken, dann seien sie mit zu viel anderen Dingen beschäftigt.

Viel ratsamer sei es sowieso, schon früh auf die Ausprägung des Kindes zu achten – oder aber eine entsprechende Händigkeitsdiagnose vornehmen zu lassen, spätestens bis zum Vorschulalter. Einfließen lässt Gräbner in die Untersuchung den Entwicklungsstand des Kindes, sie erfragt Krankheiten und Störungen, beobachtet, achtet auf die Händigkeit der Eltern.

Sie sucht nach Irritationen in der Händigkeitsentwicklung und nach Umschulungsversuchen. Ist die Linkshändigkeit diagnostiziert, sollten Eltern sehr bewusst auf eine korrekte Handhaltung beim Schreiben lernen achten – diese unterscheidet sich von der Haltung bei Rechtshändern. Spezielle Schreibunterlagen mit aufgezeichneter Handhaltung können laut Gräbner hilfreich sein.

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