Die Nase voll haben

Geruchsforscher Professor Hanns Hatt: Wie Riechen das Leben bestimmt

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„Unsere Nase schläft nie“, sagt der Geruchsforscher Professor Hanns Hatt. Foto: Ruhr-Universität Bochum

„Solange wir atmen, riechen wir. Riechen gehört zu den fünf menschlichen Sinnen und steuert das Leben zentral“, sagt Professor Hanns Hatt (70). Der Präsident der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften ist überzeugt: „Düfte wecken Gefühle, Erinnerungen und Stimmungen, bevor unser Verstand davon erfährt.“

Der Geruchsforscher und Inhaber eines Lehrstuhls für Zellphysiologie sprach im Rahmen des Stiftungsfests der Universität Würzburg zum Thema „Alles über das Riechen und wie es unser Leben bestimmt“. Ein Phänomen, das jeder kennt: Man ist verschnupft und schmeckt beim Essen nichts mehr.

„Dabei ist es so, dass wir nichts mehr riechen“, so der Wissenschaftler, der sich auf die olfaktorische Wahrnehmung, den Geruch, spezialisiert hat. Die Nase isst mit – Geschmack entsteht nicht nur auf der Zunge. Besonders interessant für Weinliebhaber: Wenn Wein auf der Zunge ein raues, pelziges Gefühl hinterlässt, ist weder der Geschmacks- noch der Geruchssinn verantwortlich.

Hatt und Kollegen fanden heraus: Die klassische Eichenfassnote (Barrique-Geschmack) nehmen Menschen über den Nervus trigeminus wahr, der unter anderem Schmerz- und Temperaturempfinden vermittelt. Die Nase spielt aber nicht nur in Sachen Genuss eine entscheidende Rolle. Ganz gleich, ob Parfum, Deo oder Shampoo – alles, was der Mensch Tag für Tag benutzt, ist an Erinnerungen gekoppelt.

„Es gibt kein anderes Sinnessystem, das so eng mit dem Erinnerungszentrum verbunden ist, ja sogar einen unmittelbaren Zugang dazu hat, wie die Riechzellen der Nase.“ Wenn man sich in die Kindheit zurück versetzen möchte, so gelänge das immer noch am besten über Düfte, betont der studierte Biologe, Chemiker und Humanmediziner.

Sogenannte „Duft-Erinnerungen“, etwa an einen Urlaub, ließen Bilder aus vergangenen Tagen vor dem inneren Auge aufleben. Ebenso eng ist die Nase an das Emotionszentrum gekoppelt.

„Alle Entscheidungen, die wir treffen, hängen davon ab, auf welche Erfahrungen wir zurückgreifen.“ Und dabei sind Duft-Erfahrungen besonders wichtig, sie beeinflussen unbewusst. Ein Umstand, der nicht nur über Sympathie oder Antipathie in zwischenmenschlichen Angelegenheiten entscheidet.

„Die Nase ist allerdings sehr subjektiv. Alles, was wir mit ihr wahrnehmen und die Düfte, die wir abspeichern, können bei jedem Menschen anders sein“, so der Zellphysiologe. Der Grund: Ob wir einen Duft mögen oder nicht, ist nicht genetisch fixiert, die Konditionierung erfolgt je nach Kulturkreis, Erziehung und persönlichen Erfahrungen – die schon im Mutterleib beginnen.

„Düfte können nicht nur über die Nase auf uns wirken, sondern auch über Haut, Atmung oder Darm in unseren Körper gelangen. So kann man Duftmoleküle aus der Atemluft oder nach Einreiben auf der Haut im Blut wiederfinden. Sie werden mit dem Blut überall hin transportiert bis zum Gehirn. Dies ist besonders interessant, weil bestimmte Düfte über verschiedene Rezeptoren, unter anderem auch den Duftrezeptoren aus der Nase, auf alle Körperzellen wirken können“.

So hat Hatts Team in Kooperation mit Dr. Olga Sergeeva und Prof. Helmut Hass von der Heinrich Heine Universität Düsseldorf herausgefunden, dass beispielsweise der Gardenienduft (Gardenia-Acetal) den gleichen molekularen Wirkmechanismus hat und ähnlich stark auf sogenannte GABA-Rezeptoren im Gehirn wirkt wie die häufig verschriebenen Benzodiazepine oder Propofol. Oder einfach gesagt: Statt Schlaftabletten oder Stimmungsaufhellern könnte auch eine Nase Blütenduft aus Gardenia jasminoides helfen.

„Wir haben eine neue Klasse von GABA-Rezeptormodulatoren entdeckt, die sowohl parenteral verabreicht als auch durch die Atemluft wirkt“, so Hatt. „Man kann sich Anwendungen in der angstlösenden, beruhigenden, erregungs- und aggressionsdämpfenden oder schlafanstoßenden Therapie vorstellen.“

Umgekehrt gelang es den Forschern auch Düfte zu identifizieren, die das Gegenteil bewirkten. „Die Ergebnisse kann man auch als Nachweis einer wissenschaftlichen Grundlage der Aromatherapie sehen.“

Nicht minder interessant sei die Erkenntnis, dass viele der 350 Duftrezeptoren aus der Nase auch in allen Körperzellen gefunden wurden. An den Muskelzellen der menschlichen Bronchien gäbe es zwei Typen von Duftrezeptoren.

„Aktivieren die entsprechenden Düfte, nämlich Bananen- und Aprikosennoten respektive Lilial oder Bourgeonal, diese Rezeptoren, erweitern oder verengen sich die Bronchien – ein potenzieller Ansatz für die Asthma- oder Allergietherapien“, meint der Mediziner.

In Hautzellen wurde der Duftrezeptor für Sandelholz entdeckt. Seine Aktivierung verbessere die Regeneration der Haut und Wunden heilten rund 30 Prozent schneller, so Professor Hatt. Eine der jüngsten Erkenntnisse umschreibt Professor Hatt fast schon poetisch: „Man riecht auch mit dem Herzen gut.“

Das Herz besitze ungefähr 15 Duftrezeptoren, die auch in der Nase vorkommen. Nun sei für einen dieser Rezeptoren die Funktion bekannt. Er reagiere auf Fettsäuren, die einen ranzig-fettigen Geruchseindruck vermitteln. Aktiviert ein solcher den Rezeptor, würden sich Herzfrequenz und Herzkraft reduzieren.

„Ein Problem für Diabetiker mit hohen Fettsäurewerten, hier könnte der Blocker für den Rezeptor helfen“, freut sich Hanns Hatt.

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