Die Musikerinnerung bleibt

Warum sich der, in der Jugend gebildete Musikgeschmack meist nie mehr ändert

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Das Langzeitmusikgedächtnis bleibt laut dem Würzburger Musiktherapeuten Thomas Wosch selbst bei schwerer Demenz erhalten. Foto: Pat Christ

Die einen lieben Schlager, andere stehen auf die Beatles, wieder andere entführt Heavy Metal ins musikalische Paradies. Festgelegt wird der Musikgeschmack in der Jugend. Später ändert er sich meist nicht mehr.

Es scheint fast so, als würde es eine „Musikregion“ im Gehirn geben, die den Lieblingsgeschmack früh speichert. Doch dem ist nicht so, betont der Würzburger Musikwissenschaftler Professor Andreas Lehmann: „Der Musikgeschmack ist keiner Region im Gehirn zuzuordnen.“

Die Musik, die man in jungen Jahren etwa auf Partys oder in der Schule hörte, ist laut Professor Lehmann stark identitätsbildend: „Und bleibt für den Rest des Lebens wichtig.“ Wobei „Musikgeschmack“ selten nur eine einzige Art von Musik wie Techno oder Klassik umfasst: „Sie bezieht die Gesamtheit der geschätzten Musik ein, die unterschiedlichen Stilen entstammen kann.“

Das Partylied kann genauso geliebt werden wie die Sonate, die man auf dem Klavier selbst gespielt hat, oder das Schlaflied, das einem die Mutter einst vorsang. Wird Musik in einer konkreten Situation sehr stark emotional erlebt, etwa auf der Beerdigung der Großmutter, ist sie für den Hörer damit besetzt, bestätigt Professor Thomas Wosch, der an der Würzburger Fachhochschule Musiktherapeuten ausbildet. Auch die Musik, die Verliebte hören, sei zeitlebens für diese beiden Menschen mit dem Gefühl des Verliebtseins verbunden.

Zwei Turteltauben, die „Love is in the Air“ hörten, werden also auch viele Jahre später beim Hören diese Songs an jene Phase denken, als sie im siebten Himmel schwebten. Professor Wosch: „Genauso verhält es sich mit Musik, die in Erfolgsmomenten gehört wird.“ Das Langzeitmusikgedächtnis ist laut dem FH-Professor in einem Bereich des Gehirns angesiedelt, der selbst bei schwerer Demenz erhalten bleibt. Eben dieser Bereich sei auch Teil eines Netzwerks des Gehirns, das zur Emotionsverarbeitung gehört: „Es hat also Verbindung zum limbischen System.“

Wird ein demenzkranker Mensch mit einer emotional bedeutsamen Musikerinnerung konfrontiert, könne er sie voll nachvollziehen: „Und sie gibt ihm Orientierung.“ In der Musiktherapie gibt es Professor Wosch zufolge im Übrigen keine gesunde oder schädliche Musik. Techno könne perfekt und sehr gesund sein für Jugendliche, die ihren Alltag als absolut unberechenbar erleben. Im wiederholenden Grund-Beat erfahren sie Zuverlässigkeit, Vorhersagbarkeit und Stabilität.

„Ein Satz Mozart-Sinfonie kann bei einer Besetzung mit einem traumatisierenden Erlebnis hingegen absolut schädlich für einen Menschen mit psychischer Störung sein“, so der Musiktherapeut. Zumindest dann, wenn er keine Bewältigungsmechanismen zum Bearbeiten des Traumas hat.

„Wer sich in seiner Kindheit und Jugend nicht für klassische Musik begeistern konnte, wird sich auch im Alter daraus nichts machen“, sagt Natalia Ehlerding, Kunst- und Kulturbeauftragte der unterfränkischen Alzheimergesellschaft.

Menschen, die in ihrer Jugend gerne Pop hörten oder eine Vorliebe für eine bestimmte Band hatten, würden auch im Alter diese Musikrichtung bevorzugen. Gerade, wenn mit Menschen mit Demenz musiziert wird, muss nach ihren Worten beachtet werden, dass der Musikgenuss in der Regel zu einem intensiven inneren Erleben führt. „Innere Bilder und Gefühle, die nicht immer mit positiven Erlebnissen verknüpft sein müssen, werden an die Oberfläche geholt“, so Ehlerding.

Aus diesem Grund sei es wichtig, möglichst früh herauszufinden, welche Musikrichtung dem Betroffenen gut tut: „Dazu sollte auch der Angehörige befragt werden.“ Weckt die Musik positive Emotionen, hat sie auf Menschen mit Demenz meist sehr gute Effekte, zeigen die von Ehlerding organisierten Konzerte für Demenzerkrankte: „Wir konnten schon oft beobachten, wie Demenzkranke mit der Musik mitgehen.“

Sie wippen mit den Füßen, sie fangen an, im Rhythmus zu klatschen, oder springen sogar auf und tanzen. Musik, bestätigt Musikwissenschaftler Andreas Lehmann, löse körperliche, geistige und emotionale Prozesse aus. Das Gehirn würde also in vielfältiger Weise angeregt.

„Nur einige wenige Menschen leider unter amusischen Störungen, bei denen Musik nicht normal verarbeitet wird“, so der Musikprofessor. Die neuroanatomischen Befunde hierzu seien jedoch unklar.

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